Besuch des deutschen Botschafters

Thomas GötzDer deutsche Botschafter Dr. Thomas Götz hat der Fachgruppe Deutsch einen Besuch abgestattet

„Letzte Woche sprach mich ein guter finnischer Bekannter auf das Verhältnis zu Deutschland an“, erzählte Botschafter Götz am Anfang, „und er sagte zu mir: ‚Der Papst ist ein Deutscher und der Präsident der Europäischen Zentralbank ein Italiener. Mir wäre es lieber, wenn es umgekehrt wäre.‘“ Daraus schließe er, dass man in Finnland viel Vertrauen in Deutschland habe und dass Deutschland in Finnland ein hohes Ansehen genieße, was sich während der fünf Monate, die Herr Götz bisher schon in Finnland verbracht hat, bestätigt habe. Überall sei er auf offene Türen, viel Sympathie und vor allem auf positive Resonanz für Deutschland gestoßen, woraufhin er scherzhaft die Frage stellte, wozu Deutschland denn noch einen Botschafter in Finnland brauche, zumal die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sehr eng seien. „Alte Freundschaften müssen gut gepflegt werden“, mahnte er, und genau dazu sei ein Botschafter da. Seine Aufgabe sei es, das gute Verhältnis zwischen Finnland und Deutschland aufrecht zu erhalten und die Interessen Deutschlands in Finnland zu vertreten.

Als ehemaliger stellvertretender Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts liege ihm persönlich besonders der kulturelle und akademische Austausch zwischen Deutschland und Finnland sehr am Herzen. „Ich denke, dass die kulturellen Beziehungen zwischen Ländern überhaupt die Basis sind für alles andere“, betonte er und fügte hinzu, dass dabei die Sprache „Schlüssel und Ausgangspunkt“ sei. Auslandsschulen spielen dabei eine besonders wichtige Rolle, und insbesondere über die Deutsche Schule Helsinki hatte er nur Positives zu berichten: „Ich habe selten eine deutsche Auslandsschule gesehen, die auf einem so hohen Niveau und so erfolgreich arbeitet wie die Deutsche Schule Helsinki“.

Auch die Universitäten seien für den kulturellen Austausch von großer Bedeutung und daher kümmere sich das Auswärtige Amt auch darum, ausländischen Studierenden die Möglichkeit zu geben, beispielsweise über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) einen Teil ihres Studiums in Deutschland zu absolvieren. Besonders beliebt unter ausländischen Studenten sei Berlin, wo es gleich mehrere herausragende Universitäten gebe, aber auch Städte wie München stehen ganz oben auf der Wunschliste. Die Zeiten, in denen man nur im eigenen Land studierte und forschte, seien längst vorbei, und daher müsse man global denken.

Deutschland sei auf dem globalen Bildungsmarkt nach wie vor ein wichtiger Standort. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) seien die USA und Großbritannien die Länder mit dem höchsten Anteil an ausländischen Studenten an ihren Universitäten, gleich dahinter aber, auf dem dritten Platz, kommen Deutschland und Australien mit einem Anteil von jeweils sieben Prozent. Auch Deutsch als Fremdsprache sei beliebt, denn zusammen mit den Deutschkenntnissen – und mit Fremdsprachenkenntnissen im Allgemeinen – steigen die Chancen auf eine gute Arbeit deutlich, vor allen Dingen im Bereich der Wirtschaft. Deutschland bekomme auf diese Weise Multiplikatoren, also Leute, die sich für Deutschland und dessen Kultur und Sprache interessieren und dazu beitragen, diese zu erhalten.

Lehrkräfte und Studierende der Fächer Germanistik und Übersetzen Deutsch hörten Herrn Götz mit Interesse zu

Seine eigene Studienzeit verbrachte Herr Götz in Tübingen, wo er Germanistik und Anglistik studierte. Er habe sehr gute Erinnerungen an sein Studium, insbesondere an die Seminare des Philosophen Ernst Blochs, die bei Bloch zu Hause stattfanden. Während seines Studiums studierte Herr Götz auch ein halbes Jahr in Newcastle upon Tyne, was für ihn eine prägende Zeit gewesen sei. Gerade deshalb halte er es für wichtig, möglichst vielen Studenten die Möglichkeit zu geben, an einem Austausch teilzunehmen.

Nach dem Studium arbeitete er einige Jahre im Schuldienst und danach sogar am Theater. Beide Arbeiten haben ihm viel Spaß gemacht, aber nicht zuletzt wegen seiner internationalen Familie zog es ihn immer wieder ins Ausland. Er beschloss, sich beim Auswärtigen Amt zu bewerben, da er dies für eine gute Möglichkeit hielt, ins Ausland zu kommen und so sein Reisefieber zu stillen. Er habe zu Beginn seines Studiums nie daran gedacht, Diplomat zu werden, das habe sich einfach so ergeben. Diesen Weg eingeschlagen zu haben habe er allerdings nie bereut.

Nach vielen Jahren in Tokyo, Hongkong, Bukarest, Genf und Athen sei gerade Finnland für ihn ein besonders interessanter Posten. Die Finnen seien den Deutschen sehr ähnlich, allmählich aber stelle er auch einige feine Unterschiede zwischen den beiden Kulturen fest. „Das ist ja auch gut so“, betonte er, „es gibt Unterschiede, auf die man Rücksicht nehmen muss – es ist kein Kulturschock, sondern es ist einfach natürlich, dass Finnen und Deutsche auch verschieden sind.“ Einen richtigen Kulturschock habe er auch sonst noch nie erlebt – schon gar nicht in Finnland – aber gerade die auffallenden Gemeinsamkeiten zwischen Finnen und Deutschen haben ihn in ihrer Deutlichkeit anfangs sehr überrascht. „Ich bin mehrmals mit Premierminister Katainen bei verschiedenen Gelegenheiten zusammengetroffen, und einer seiner Standardsätze ist: ‚Es gibt Regeln und diese Regeln müssen wir einhalten.’ Das ist schon etwas, was ich in dieser Nuanciertheit nicht erwartet hätte.“

Auf die Frage hin, was seiner Meinung nach junge Leute heutzutage an dem Studienfach Germanistik interessiert und was ihn selbst zu einem Germanistikstudium bewogen hatte, antwortete er, dass ihm persönlich immer die Literatur besonders wichtig gewesen sei. Literatur kreiere eine eigene fiktive Welt, aus der man viel für das wahre Leben lernen könne. Er wisse aber auch, dass es wichtig ist, die Germanistik weiterzuentwickeln, um konkurrenzfähig zu bleiben. Heutzutage sei die Germanistik kein reines Sprach- und Literaturstudium mehr, sondern sie konzentriere sich auch auf andere Bereiche. „Die Germanistik entwickelt sich in Richtung German Studies.“ Durch diese Entwicklung sei es Germanisten heutzutage auch möglich, Berufe außerhalb des Lehramtes auszuüben und beispielsweise bei verschiedenen Firmen oder in der Politik zu arbeiten. Diese Entwicklung in der Germanistik sei wichtig und notwendig und diese wolle er auch selbst unterstützen. Allerdings sei auch heute – ganz traditionell – das Interesse an der deutschen Sprache und Literatur der ausschlaggebende Faktor für angehende Studenten, sich gerade zu einem Germanistikstudium zu entschließen.

Im Interview mit der Studentin Merja Sainio und der Doktorandin Nea Auhtola ging Herr Götz unter anderem auf die aktuellen politischen Geschehnisse in Deutschland ein.

Als Botschafter verfolge er selbstverständlich auch hier in Finnland die aktuellen Geschehnisse in Deutschland sehr aktiv. Aktuelle Themen in Deutschland, die man als Deutschlandinteressierter zur Kenntnis nehmen sollte, seien vor allem der von Bundeskanzlerin Merkel angestoßene Fiskalpakt und natürlich der neue Bundespräsident Joachim Gauck. „Damit kehrt hoffentlich Ruhe ein auf dieser Front“, fügte er mit einem kleinen Lächeln hinzu. Mit besonderem Interesse verfolge er auch die Veränderungen in der Parteienlandschaft. Zu den traditionellen Parteien sei nun in einigen Landtagen die Piratenpartei hinzugekommen und gleichzeitig habe die FDP viele Stimmen verloren. Er sei gespannt, wie diese Entwicklung weitergehe und wie die deutsche Parteienlandschaft in Zukunft aussehen werde. Er habe sich auch über die finnische Piratenpartei informiert, diese aber sei hier noch recht unbedeutend.

Natürlich hatte Herr Götz als Germanist und Literaturwissenschaftler auch noch ein paar Leseempfehlungen für Deutschinteressierte parat. Besonders fasziniert habe ihn schon seit jungen Jahren Hermann Hesse, dessen Werke (u.a. Der Steppenwolf) auch heute im 21. Jahrhundert noch relevant seien. Auch Thomas Mann sei ein Autor, an dem man nicht vorbeikomme. „Thomas Mann ist einer der letzten ganz Großen der deutschen Sprache, und ich habe die Bücher immer mit größter Begeisterung gelesen.“ Das vierteilige Werk Joseph und seine Brüder sei ein Monumentalwerk, für das man sich einen Sommer Zeit nehmen sollte. „Wenn Sie es noch nicht kennen, nehmen Sie es im Sommer mit zum mökki!“, ermunterte er die Studenten. Goethe dürfe man selbstverständlich auch nicht vergessen, auch wenn er ein schwieriger Autor sei. Als Einstieg empfahl Herr Götz Die Wahlverwandtschaften, „man muss ja nicht gleich den Faust nehmen.“ Auch die Lyrik liege ihm sehr am Herzen. „Ich glaube, ich lese jeden Tag auch einige Gedichte oder murmele sie vor mich hin.“  Neben Rainer Maria Rilke und Bertolt Brecht nannte er auch Georg Trakl, Gottfried Benn, Paul Celan, Günter Eich und Peter Huchel. Leider sei er noch nicht dazu gekommen, sich intensiver mit der finnischen Literatur auseinanderzusetzen, einen Stapel finnischer Bücher habe er sich aber zu Hause schon bereit gelegt.

Drei Germanisten im Gespräch: Botschafter Götz unterhält sich mit Herrn Prof. Dr. Korhonen und Frau Prof. Dr. Hyvärinen

Zum Schluss sprach Herr Götz noch über seine ersten Eindrücke von Helsinki. Helsinki sei eine wunderschöne Stadt, besonders das Stadtzentrum gefalle ihm sehr. „Es ist einfach schön, unten in der Stadt  die Esplanade entlang zu gehen in Richtung Hafen und dann hoch zum Dom. Abends, wenn es dunkel wird, liegt ein ganz eigenartiges Licht über der Stadt.“ Finnische Architektur und finnisches Design seien weltweit bekannt und daher sei Helsinki geradezu prädestiniert dazu gewesen, Weltdesignhauptstadt 2012 zu werden.

Nea Auhtola
Julia Weschler