Vor Sonnenaufgang – ein Musterbeispiel eines naturalistischen Werkes

Das soziale Drama Vor Sonnenaufgang von Gerhart Hauptmann aus dem Jahr 1889 repräsentiert die Epoche des Naturalismus auf viele verschiedene Weise. Sowohl das Milieu, die Figurenbeschreibung und der Stil, als auch die Thematik und der Aufbau der Geschichte sind alle typisch für ein naturalistisches Drama. Die Geschichte findet auf einem schlesischen Bauernhof statt. Eine arme Familie wird plötzlich reich, weil sie Kohle entdecken. Dies verursacht viele unterschiedliche Schwierigkeiten, welche durchaus das Werk schlimmer werden.

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Der Stil. Hauptmann benutzt als Stilmittel den sogenannten Sekundenstil, wo alles sekundengenau beschrieben wird. Dies erscheint als ganz gründliche Beschreibung zum Beispiel der Ort, der Personen – wie sie sich bewegen, wie sie aussehen, wie sie reden. Es wird versucht, so exakt wie möglich eine Situation in allen Einheiten zu schildern. Der Schreibstil wirkt so, dass man das Gefühl hat, man sei mittendrin in der Geschichte. Die Dialoge sind nicht in der Art lyrisch, denn sie ähneln eben der gesprochenen Sprache. Neben den Dialogen sind die Paratexte auch wichtig in dem Sinne, dass man die Handlung besser versteht und genauere Information bekommt, und daraus den Text interpretierbarer macht.

Der Aufbau. Dieses Drama kann man in Bezug auf den Aufbau klassisch erkennen. Es besteht aus fünf Akten und hat eine beschlossene Form. Die erzählte Zeit ist 24 Stunden, was auch die Geschichte realistischer macht, und so auch dem Leser näher steht. Die kurze erzählte Zeit (und auch der Stil) sowie auch die Dialoge haben die Wirkung, dass man als Leser ständig aufpassen sollte: Jede Kleinigkeit ist wichtig, und beim Interpretieren sind sie zu beachten. Es wird nicht so genau weder von der Vergangenheit noch der Zukunft erzählt, sondern u. a. das Verhalten und die Gespräche in jeder unterschiedlichen Situation zeigt uns, wie die Figuren sind, was vielleicht mal passiert hat und was noch passieren könnte. Das Werk hat also einen offenen Anfang und Ausgang.

Die Figuren. In der Hauptrolle ist die Bauernfamilie Krause. Wegen der Aufhebung der Ständeklausel ist es auch interessanter das Buch zu lesen. Weil es um eine „normale“, also nicht adelige, Familie geht, kann man die Probleme besser nachvollziehen. Die Story könnte eine Schilderung einer heutigen Familie sein. Im Buch wird den Redestil lebendig charakterisiert: Es gibt verschiedene, besonders schlesischen Dialekte, und mit dem Redestil werden auch einerseits die Gesellschaftsklassen dargestellt. Es wird klar, wer gebildet ist und wer nicht. Im Werk werden einigermaßen auch die Mägde und deren Gespräche berücksichtigt.

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Die Thematik. Es taufen mehrere Themen in Hauptmanns Werk auf. Manche werden deutlich dargestellt, andere stecken dahinter. Einerseits handelt es sich um Alkoholismus, Kapitalismus und Narzissmus, andererseits um Inzucht, Hoffnungslosigkeit und Gesellschaftsklassen. Fast jede Figur ist die Verkörperung von etwas: Hoffmann repräsentiert Kapitalismus, Narzissmus, Egoismus, Loth dagegen ist ein Sozialist, Helene eher eine Altruistin und spiegelt die Hoffnungslosigkeit, Frau Krause nutzt Herrn Krause aus, genauso wie Hoffmann Martha, Helenes Vater Krause und Schwester Martha sind das Alkoholismus. Es wird in diesem Werk sichtbar, in welcher Lage die Gesellschaft in der Erzählung ist: Darwinismus als Evolutionstheorie ist ganz aktuell zu der Zeit, die industrielle Revolution, besonders hinsichtlich der Kohlenindustrie, und deren Nachteile werden behandelt, und auch die Milieutheorie von Taine hat offensichtlich Einfluss aufs Werk. Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist offenbar nicht in der Lage wie es heute ist – die Frauen sind noch in dieser Geschichte minderwertiger als Männer. Der Mann ist hier aber auch keine Heldenfigur, und die Frau hat keine kleine Nebenrolle. Der Autor will wahrscheinlich mit Absicht die Rolle der Frau betonen, obwohl eher die Unterhaltung der Männer (beispielsweise Hoffmann und Loth bzw. Dr. Schimmelpfennig) im Mittelpunkt steht. Außerdem ist der Grundgedanke des Determinismus besonders zu merken: Es wird angedeutet, dass das Milieu eine große Rolle im Leben eines Menschen hat. Determinismus könnte man in diesem Kontext als. Determinismus könnte man als „Erklärung“ für alle Probleme, welche die Figuren im Werk haben, sehen: Sie wohnen wo sie wohnen, entdecken Kohle, werden dadurch reich, haben dadurch Geld um zu viel Alkohol zu kaufen und alles Mögliche zu machen, werden unglücklich, und schließlich sterben – jetzt so banal gesagt. Hierzu würde auch ein bekannter Spruch passen: Geld bringt kein Glück.

So wie viele andere naturalistische Werke, ist dies auch ein gesellschaftskritisches und gleichzeitig psychologisches Werk. Es bleibt der Natur treu, also es wird alles möglichst wirklichkeitsgetreu geschildert. Weil Epochen keine klaren Grenzen haben, gibt es natürlich in naturalistischen Werken Charakteristika von Realismus. Beide Epochen versuchen zu vermeiden ein (zu) „romantisches“ Bild zu geben. Die Religiosität merkt man kaum, im Kontrast zu der Epoche des Biedermeiers. Im Gegensatz zu Realismus, versuchen die Werke des Naturalismus aber genau die Determiniertheit der Umgebung, Tabus wie Alkoholismus und das arme Leben der unteren Schichte hervorheben.

Die Bilder: Kaisa Matveinen

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