Z3

Gemeinsame Lutherisch-Orthodoxe Kommission: Texte 1985-2008
(deutsche Übersetzungen)

Gemeinsame Texte:

Die göttliche Offenbarung (3. Plenarsitzung, Allentown 1985)
Schrift und Tradition (4., Kreta 1987)
Kanon und Inspiration der Heiligen Schrift (5. Bad Segeberg 1989)
Autorität der Kirche und in der Kirche:
A. Die ökumenischen Konzile (7. Sandbjerg 1993)
B. Das Verständnis des Heils im Lichte der ökumenischen Konzile (8. Limassol 1995)
C. Heil: Gnade, Rechtfertigung und Synergie (9. Sigtuna 1998)
D as Mysterium der Kirche
A. Wort und Sakramente/ Mysteria im Leben der Kirche (10. Damaskus 2000)
B. Mysteria/ Sakramente als Heilsmittel (11. Oslo 2002)
C. Taufe und Myronsalbung als Sakramente der Aufnahme in die Kirche (12. Durau 2004)
D. Die Heilige Eucharistie im Leben der Kirche (13. Bratislava 2006)
D/2 Die Heilige Eucharistie im Leben der Kirche. Vorbereitung der Eucharistiefeier und ökologische und soziale Implikationen (14. Pafos 2008)

 

 

Dritte Plenarsitzung der Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission
24.-30. Mai 1985, Allentown, USA
DIE GÖTTLICHE OFFENBARUNG

I (1) Gott, den niemand je gesehen hat (Joh 1, 18), offenbart sich den Menschen in der Geschichte durch sein Wort und seine Kraft (Energien). Diese mit der Schöpfung der Welt beginnende Offenbarung Gottes (Apg 14,15-17) wird vollendet durch sein Heilswerk (oikonomia) in Christus, der Ausgiessung des Heiligen Geistes und in der Verheissung einer neuen Schöpfung.

(2) Der dreieinige Gott, an den wir glauben und den wir bekennen, hat seine göttliche Weisheit und seinen gnädigen Willen in seinem Heilswerk offenbart, das ihn uns als Schöpfer Erlöser und Vollender aufzeigt und als den künftigen Richter der ganzen Menschheit. Gottes Verheissung im Alten Testament, als er vielfach und auf verschiedene Weise zu den Vätern geredet hat durch die Propheten (Hebr 1,1), und ihre Erfüllung in Jesus Christus stellen nicht nur die Geschichte der Offenbarung Gottes dar, sondern auch die Geschichte der Erlösung der Menschheit. Die Offenbarung ist das Wort Gottes und das Wort über Gott; sie ist zugleich das Wort, in dem es um Bestimmung und Heil aller Menschen geht.

(3) Gott selbst rettet Menschen aus ihrer Verlorenheit und ihrer Entfremdung von ihm und führt sie zum wahren Leben in der neuen Schöpfung (2 Kor 5,17). Die Mitte seines Heilswerks ist die Sendung seines Sohnes, der “für uns Menschen und zu unserem Heil vom Himmel gekommen ist, Fleisch angenommen hat durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und Mensch geworden ist. Er wurde für uns gekreuzigt”, ist auferstanden zu neuem Leben “nach der Schrift und aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten des Vaters”. Durch den erhöhten Herrn giesst der Vater den Heiligen Geist auf sein Volk aus, und bringt so seine Offenbarung zum Abschluss. Der selbe Heilige Geist, der durch die Propheten gesprochen hat, ist in der apostolischen Botschaft (Kerygma) wirksam, indem er den Sohn verherrlicht und allen Glaubenden Heilserkenntnis gewährt (Joh 14,13-16), bis die Erfüllung aller Verheissungen im Reiche Gottes am Jüngsten Tag erlangt wird.

II (4) Gottes Offenbarung in Jesus Christus wird in der Kirche und durch die Kirche als Christi Leib verwirklicht Das Heilsgeheimnis von Ostern und Pfingsten hat die Kirche des Neuen Testaments gestiftet, in der die Offenbarung gelebt, verkündigt und weitergegeben wird. Der Heilige Geist trägt das Leben und Wachstum der Kirche bis zum Jüngsten Tag durch die Verkündigung des Evangeliums in der Fülle der apostolischen Tradition und ihre Weitergabe von Ort zu Ort und von Generation zu Generation nicht nur in Worten, sondern durch das ganze Leben der Kirche.

(5) Die Heiligen Schriften sind inspirierter und authentischer Ausdruck der Offenbarung Gottes wie der Erfahrung der Kirche an ihrem Ursprung. In der fortgehenden Erfahrung der Kirche von ihrem Leben in Christus, in Glaube, Liebe und im Gehorsam des Gottesvolkes samt seinem Gottesdienst werden die Heiligen Schriften ein lebendiges Buch der Offenbarung, dem Botschaft (Kerygma), Dogma und Leben der Kirche nicht widersprechen dürfen. Weil durch die Leitung des Heiligen Geistes das Dogma der Kirche mit den Heiligen Schriften übereinstimmt, wird das Dogma selbst zu einem dem Wechsel enthobenen Zeugnis für die Wahrheit der Offenbarung. So ist unter der Leitung des Heiligen Geistes die göttliche Offenbarung in der Kirche lebendig durch die Heilige Schrift und die Heilige Tradition.

(6) “Wenngleich die heiligen und gottgehauchten Schriften suffizient sind für die Darlegung der Wahrheit, gibt es auch viele Bücher unserer seligen Lehrer, die dazu verfasst sind; wer nach ihnen greift, wird in ihnen gewissermassen das Verständnis der Heiligen Schriften erlangen (Athanasius, Contra gent. 1,3, PG 25,4).

 

Vierte Plenarsitzung der Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission
27. Mai – 4. Juni 1987, Kreta, Griechenland

 

SCHRIFT UND TRADITION

1. Die göttliche Offenbarung des Heilshandelns (oïkonomia) Gottes im Alten und im Neuen Testament, das in der Person von Jesus Christus vollbracht ist, wird der Welt durch das Wirken des Heiligen Geistes vermittelt. Dieses Heilshandeln Gottes durch den Sohn im Heiligen Geist ist das Wesen des Heils-Evangeliums (euangelion).

2. Das Wort Gottes, das den Propheten bekannt gemacht war, wird uns offenbart durch die Inkarnation, das Leben und Lehren, die Passion, die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi sowie die Aussendung seines Geistes zu Pfingsten. Durch all das hat Jesus Christus die Einheit der Testamente und die Kontinuität der ein für allemal dargebrachten Gabe seines Leibs und seines Bluts für unser Heil sowie seine bleibende Gegenwart bei uns bis zum Ende der Zeiten bewirkt und gewährleistet. Deshalb ist das Heils-Evangelium (euangelion), das die Heiligen Schriften bezeugen, nicht einfach Reden von oder über Gott, sondern (Gestalt) des hypostatischen Wortes selbst (der zweiten Person der Trinität, die Mensch wurde in Jesus Christus), dem inkarnierten Gott. Dieses Heils-Evangelium, das uns durch das Wirken des Heiligen Geistes von der Kirche bis zum Ende der Zeiten vermittelt wird, ist die Heilige Tradition.

3. Die Heilige Tradition ist der authentische Ausdruck der göttlichen Offenbarung in der lebendigen Erfahrung der Kirche als des Leibes des menschgewordenen Gottes. Durch das Wirken des Heiligen Geistes gibt die Kirche mit ihren Sakramenten und ihrem geistlichen Leben dies Evangelium (euangelion) von unserer Rettung weiter. Deshalb ist der apostolische Glaube der Kirche nicht nur Proklamation, sondern er ist selbst “inkarnierter” Glaube
(Heb 11,1; vgl. “enhypostatos pistis”, Maximus Conf., Quaestiones 25, PG 90, 336 D) in der Kirche.

4. Dies Evangelium (euangelion) des Heils ist der Inhalt der Heiligen Tradition, wie es in der Schrift, dem. Leben der Heiligen aller Zeiten und der konziliaren Tradition der Kirche erhalten, bezeugt und weitergegeben ist.

5. Die orthodoxen und die lutherischen Kirchen haben die gleiche Bibel, die das Alte und das Neue Testament umfasst, aber die folgenden zehn Bücher des Alten Testamentes sind in unseren Kirchen in unterschiedlichem Masse verbindlich, nämlich: Judith, 1. Esra,
1. Makkabäer, 2. Makkabäer, 3. Makkabäer, Tobias, Jesus Sirach, Weisheit Salomos, Baruch und Brief Jeremias. In der Zukunft werden wir uns mit dem Problem des Kanons gründlicher befassen müssen.

6. Es ist der gleiche dreieinige Gott, der sich im Alten und in seiner Fülle im Neuen Testament offenbart. Das Alte Testament enthält Gottes bedingungslose Heilsverheissung, das Neue Testament deren Erfüllung in Christus durch den Heiligen Geist. Beide Testamente offenbaren Gottes Urteil über die Sünde innerhalb und ausserhalb des Volkes Gottes und Gottes erlösende Gnade in Christus. Da die Heilige Schrift das Werk des Heiligen Geistes ist, ist das Kriterium für ihr rechtes Verständnis Jesus Christus selbst in Leben und Lehre der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche.

7. Die Offenbarung Gottes, auch in der Heiligen Schrift, geht über jeden verbalen Ausdruck hinaus. Sie bleibt allen Geschöpfen verborgen, besonders dem sündigen Menschen (palaios anthropos). Der wahre Sinn der Schrift kann nur durch den Heiligen Geist offenbart werden, in der lebendigen Erfahrung des Heils, wie dies durch das christliche Leben in der Kirche zur Erfüllung kommt. Diese katholische Heilserfahrung in der Kirche ist zugleich der einzige authentische Ausdruck für das wahre Verständnis des Wortes Gottes.

8. Die Heilige Tradition als fortwährendes Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche kommt im ganzen Leben der Kirche zum Ausdruck. Die Beschlüsse von ökumenischen Konzilen und lokalen Synoden der Kirche, das Lehren der heiligen Väter, liturgische Texte und Riten sind besonders wichtige und verbindliche Ausprägungen dieses mannigfaltigen Wirkens des Heiligen Geistes. Allerdings ist nicht jede Synode, die orthodox zu sein behauptet, nicht jede Lehre eines kirchlichen Autors, sind nicht alle Riten Ausdruck der Heiligen Tradition; sie sind es nur, wenn sie von der ganzen Kirche angenommen worden sind. Es handelt sich dabei vielleicht nur um menschliche Traditionen ohne die Präsenz des Heiligen Geistes. Aus diesem Grund ist das Problem der Kriterien zur Bestimmung des Vorhandenseins der Heiligen Tradition in den kirchlichen Traditionen sehr wichtig und bedarf weiteren Studiums.

9. Deshalb können solche kirchlichen Entscheidungen, die durch die universale Kirche als wahre Formulierungen der Intention der Heiligen Schriften rezipiert sind, ihrerseits als authentische Kriterien für Glaube und Bekenntnis der Kirche angesehen werden (vgl. Vinzenz von Lerin, Commonitorium 2,3; PL 50, 640). Die Lehrentscheidungen der Kirche, die die Heilige Trinität und Gottes Heilshandeln in Jesus Christus durch den Heiligen Geist bekennen, sind Richtlinien zur Verteidigung der Wahrheit gegen das Falsche. Durch Verkündigung, Bekenntnis und ihr Leben in Christus gibt die Kirche das Geheimnis der Offenbarung Gottes weiter. Die Lehraussagen der Kirche sind in ihrem ganzen geistlichen Leben verwurzelt und werden gleichzeitig davon geprägt. Wie der hl. Basilius der Grosse in bezug auf Heilige Schrift und Heilige Tradition versichert: “… diese beiden haben im Blick auf den frommen Glauben die gleiche Kraft” (St. Basilius Magn., De spiritu sancto, XXVII, 66; PG 32, 188 A).

An einer anderen Stelle argumentiert der hl. Basilius zugunsten der doxologischen Wendung “Die Ehre sei gemeinsam dem Vater und dem Sohne” (“he doxa koine Patri kai Hyio”) zuerst aufgrund einiger Väter, dann fährt er fort: “Aber es ist für uns nicht zureichend, dass dies eine Tradition der Väter ist. Denn auch sie folgten dem Willen der Heiligen Schrift, wenn sie ihre Prinzipien aus den Zeugnissen nahmen, die wir euch kurz zuvor aus der Heiligen Schrift vorgelegt haben” (St. Basilius Magn., De spiritu sancto, VII, 26; PG 32, 96).

10. Die Funktion der Heiligen Schriften besteht darin, der Authentizität der lebendigen Erfahrung der Kirche dadurch zu dienen, dass die Heilige Tradition vor allen Versuchen der Verfälschung des wahren Glaubens (vgl. Hebr 4,12 u.a.) bewahrt wird, und nicht darin, die Autorität der Kirche, des Leibes Christi, zu untergraben.

11. Was die Beziehung zwischen Schrift und Tradition betrifft, so schien über Jahrhunderte hinweg eine grosse Differenz zwischen orthodoxer und lutherischer Lehre zu bestehen. Die Orthodoxen nehmen mit Befriedigung die Versicherung der lutherischen Theologen zur Kenntnis, dass die Intention der Wendung “sola scriptura” es immer gewesen ist, auf die göttliche Offenbarung, Gottes Heilshandeln in Christus in der Kraft des Heiligen Geistes und somit auf die Heilige Tradition der Kirche hinzuweisen, wie sie in diesem Dokument beschrieben ist, und sich gegen menschliche Traditionen richtet, die die authentische Lehre der Kirche verdunkeln.

12. Auf die Schrift verweisen heisst auf das Heils-Evangelium, auf Christus und deshalb auf die Heilige Tradition, die das Leben der Kirche ist, verweisen, so, dass die Schrift zum Kriterium der Authentizität der Heiligen Tradition wird, und so die Einheit und Katholizität der Kirche betonen zum freudigen gemeinsamen Lob des Dreieinigen Gottes.

 

Fünfte Plenarsitzung der Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission
1.-7. September 1989, Bad Segeberg, Deutschland

 

KANON UND INSPIRATION DER HEILIGEN SCHRIFT

1. Die Heilige Schrift ist ein grosser Schatz der Kirche und dient als Norm für ihren Glauben und ihr Leben: Das Alte Testament bezeugt die Selbstoffenbarung des Dreieinigen Gottes in den Propheten zu den Vätern (Heb 1,1). Es bezeugt Gottes Taten der Rettung und des Gerichts, Gottes Forderungen nach treuem Gehorsam und seine Verheissung des kommenden Retters der Welt. Das Neue Testament bezeugt, dass Gott der Vater seinen Sohn in die Welt gesandt hat, um Mensch zu werden, geboren von der Jungfrau Maria (Lk 1,30-31; Gal 4,4), und dass er ihn auferweckt hat von den Toten in der Kraft des Heiligen Geistes (Röm 1,3). So öffnete der Dreieinige Gott allen Glaubenden aus allen Völkern das Tor zum ewigen Leben. Die eine Kirche aus Juden und Heiden, im Heiligen Geist zum Leibe Christi gesammelt, hat die hebräischen Schriften, die der hl. Paulus den “Alten Bund” oder “das Alte Testament”
(2 Kor 3,14) oder “heilige Schriften” (Röm 1,2; vgl. “die Schrift”, Joh 2,22; Apg 8,32; “die Schriften”, Mk 12,24; 1.Kor 15,3f.) nannte, angenommen und später den Kanon der Bücher des Neuen Testamentes festgelegt. Altes und Neues Testament miteinander umfassen die Fülle der Heiligen Schriften, die Bibel der Kirche.

A. Der Kanon der Heiligen Schrift

2. Die Bibel unseres Herrn Jesus Christus und seiner Apostel war die Heilige Schrift Israels (vgl. Lk 4,16-21). Sie schloss das Gesetz und die Propheten ein und enthielt andere Schriften, wie die Psalmen, die unter diesen einen ganz besonderen Vorrang genossen. So hatte die Kirche von Anfang an einen festen gemeinsamen Kern des Kanons für das Alte Testament. Hinsichtlich der Einbeziehung einiger Schriften jüdischen Ursprungs gab es unterschiedliche Gewohnheiten nebeneinander in der Kirche. Das Konzil von 691/2 (Quinisexturn) hat verschiedene Bräuche lokaler Kirchen sanktioniert, darunter den kurzen Kanon, einen mittleren Kanon und einen allumfassenden Kanon.

3. Nach dem gemeinsamen Glauben der Kirche zielt Gottes Offenbarung in den Heiligen Schriften des Alten Testamentes auf die Menschwerdung seines Sohnes, Jesus Christus, der gekreuzigt wurde und von den Toten auferstand um unserer Rettung willen. Die Kirche lehrt, dass Gottes Sohn bereits vor der Inkarnation der Offenbarer für die Propheten war (1.Kor 10,4; Joh 8,58). Das Heilswerk des Dreieinigen Gottes (oikonomia) ist vollendet in der Ausgiessung des Heiligen Geistes an Pfingsten und der Sammlung der Kirche (Apg 2,1.17), die auf die Erfüllung wartet. Die Traditionen über den menschgewordenen Herrn selbst und die Botschaft der Apostel wurden mit den Heiligen Schriften Israels als ihre Erfüllung und Vollendung (Heb 10-11; 2.Kor 3,3-18) verbunden. Diese neuen Schriften, Niederschlag der mündlichen apostolischen Überlieferung, wurden das Neue Testament.

4. Der Anfang dieses neutestamentlichen Kanons reicht bis in die Zeit der Apostel zurück. Am Ende des zweiten Jahrhunderts stehen seine Grundbestandteile fest: die vier Evangelien, die Apostelgeschichte, die Briefe des Apostels Paulus und die grossen katholischen Briefe. Die Kirche hat den Kanon bestimmt, weil sie in diesen Schriften die göttliche Offenbarung in der authentischen Stimme der Apostel als der berufenen Zeugen Jesu Christi hörte. Später hat sie durch Synoden die genauen Grenzen des Neuen Testamentes festgelegt.

5. Die Anerkennung der Heiligen Schriften des Alten und Neuen Testamentes, der christlichen Bibel, ist eine der wichtigsten Entscheidungen der Kirche auf ihrem Weg von Pfingsten bis zum Jüngsten Gericht. Wir glauben und lehren gemeinsam, dass die Kirche bei dieser Entscheidung vom Heiligen Geist geleitet wurde.

6. Die frühe Kirche hat in diesen Schriften die prophetische Verheissung und die ursprüngliche apostolische Botschaft wiedererkannt, von der die Kirche lebt, und die normative Autorität dieser Schriften anerkannt. Über die Kanonizität der Bücher der Heiligen Schrift entschied letztlich der Konsens der Kirche unter der Leitung des Heiligen Geistes. Dieser Konsens bleibt für uns gültig, unabhängig davon, zu welchem Urteil heutige historische Forschung über die Verfasserschaft einzelner Schriften kommen mag. In bezug auf den Umfang des neutestamentlichen Kanons gibt es keine Unterschiede zwischen unseren Kirchen.

7. Das Alte Testament umfasst die 39 kanonischen Bücher. Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium, Josua, Richter, Ruth, 1.Kônige (1.Samuel), 2.Könige (2.Samuel), 3.Könige (1.Könige), 4.Könige (2.Könige), 1.Chronik, 2.Chronik, 2.Esra (Esra), Nehemia, Esther, Psalmen, Hiob, Sprüche Salomos, Prediger Salomos, das Hohelied, Jesaja, Jeremia, Klagelieder Jeremias, Hesekiel, Daniel, Obadja, Joel, Jona Amos, Hosea, Micha, Nahum, Zephanja, Habakuk, Haggai, Sacharia, Maleachi und die zehn “anagignoskomena” (auch “deuterokanonisch” genannt), die den lutherischen “Apokryphen” entsprechen; sie sind, mit dem Namen der orthodoxen Tradition: Judith, 1.Esra, l.Makkabäer, 2.Makkabäer, 3.Makkabäer, Tobias, Jesus Sirach, Weisheit Salomos, Baruch und Brief Jeremias.

8. Das Neue Testament umfasst 27 Schriften: Matthäus, Markus, Lukas, Johannes, Apostelgeschichte, Römer, 1.Korinther, 2.Korinther, Galater, Epheser, Philipper, Kolosser, 1.Thessalonicher, 2.Thessalonicher, 1.Timotheus, 2.Timotheus, Titus, Philemon, Hebräer, Jakobus 1.Petrus, 2.Petrus, 1Johannes, 2Johannes, 3.Johannes, Judas, die Offenbarung des Johannes.

9. Wir haben eine gemeinsame Heilige Schrift. Wir lesen sie in unseren Gottesdiensten, wir gebrauchen sie katechetisch. In der Liturgie ist die Evangelienlesung immer der Abschluss und Höhepunkt in der Reihe der biblischen Texte. Jesus Christus ist die Mitte der Heiligen Schrift, der Schlüssel zu ihrem Verstehen, der Vollender aller Verheissungen Gottes.

10. Das Alte Testament lag der Kirche von Anfang an in hebräischer und griechischer Sprache vor. Das Neue Testament ist griechisch geschrieben. Die Kirche hat die Heilige Schrift immer neu in die Sprachen vieler Völker übersetzt. Die vielen Sprachen der einen Heiligen Schrift sind Ausdruck des Lebens der einen Kirche in vielen Sprachen und Kulturen. Auch darin tritt heraus, dass der Kanon der Heiligen Schrift eine besondere Frucht des Lebens der Kirche und eine besondere Gabe für die Kirche ist.

B. Die Inspiration der Heiligen Schrift

11. In der Heiligen Schrift wird gesagt: “Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Aufdeckung der Schuld, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass ein Mensch Gottes sei vollkommen, zu jedem guten Werk geschickt” (2.Tim 3,16f.). “Es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht; sondern von dem Heiligen Geist getrieben haben Menschen im Namen Gottes geredet” (2.Petr 1,20f.). Von Inspiration (theopneustia) der Heiligen Schrift zu sprechen, heisst, vom Werk des Heiligen Geistes zu sprechen. Wenn Christen die Schrift als inspiriert erklären, machen sie eine Aussage über den Weg, den Gott gewählt hat, um unter seinem Volk zu wirken. Die Heilige Schrift ist eines der Mittel, durch die der Heilige Geist Zeugnis für die Wahrheit gibt und den Glauben der Gläubigen inspiriert und trägt.

12. Die Frage der Inspiration der Bücher der Heiligen Schrift führt uns zurück auf das Wirken des Geistes bei ihrer Entstehung, also die Inspiration der Autoren, und weist voraus auf das Wirken desselben Heiligen Geistes in der Kirche, der die Schrift verstehen lehrt und die Gläubigen zu ihrem Ziel führt.

13. Dieses Ziel ist nach dem Zeugnis der Apostel und der Lehre der Väter Teilhabe an Gottes Herrlichkeit: “Welche er gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht” (Röm 8,30; vgl. 1Joh 3,2). Dass der Dreieinige Gott selbst seine Schöpfung aus ihrer Verlorenheit und Entfremdung rettet und zum wahren Leben führt, ist das Thema aller göttlichen Offenbarung. Die Heilige Schrift ist das von Gott inspirierte und kanonische Zeugnis der Offenbarung, die selbst allerdings alle Möglichkeiten des Begreifens und Ausdrückens übersteigt. Als Bezeugung der Offenbarung ist die Heilige Schrift Gottes Wort. Die Inspiration ist das Wirken des Heiligen Geistes in den Autoren der Heiligen Schrift, dass sie die Offenbarung bezeugen (Joh 5,39) ohne Irrtum über Gott und seine Wege und Mittel zur Rettung des Menschen. Deshalb beschreiben die Autoren der Heiligen Schriften Gottes Wege mit seiner Schöpfung und seinem Volk und bezeugen damit Gottes Herrlichkeit, die den Augen der Ungläubigen verborgen ist. Inspiration kommt aus der Erfahrung der Offenbarung von Gottes Herrlichkeit kraft des Heiligen Geistes. Den Propheten des Alten Testamentes, den Aposteln und Propheten des neuen Bundes (Eph 2,20; 3,5) offenbarte Gott seine Herrlichkeit. Dabei ist festzuhalten, dass Verherrlichung untrennbar von Kreuz und Leiden ist, nicht nur für unseren Herrn Jesus Christus (Joh 12,23f.32), sondern auch bei denen, die ihm nachfolgen (Gal. 2,19f.). Verherrlichung ist Verwandlung und Erneuerung des ganzen Menschen (Röm 12,2). Sie hat die Autoren der Heiligen Schrift ermächtigt, Gottes Wort zu verkündigen und zu schreiben.

14. Propheten, Apostel und Heilige, die Gottes Herrlichkeit erfahren und in der Heiligen Schrift bezeugt haben, sprechen die Wahrheit über Gott und die Wege zur Gemeinschaft mit ihm. Der hl. Paulus schrieb: “Der geistliche Mensch … wird selber von niemand gerichtet. Denn ‘Wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen? (Jes 40,13) wir aber haben Christi Sinn” (1.Kor 2,15f.). Orthodoxe und lutherische Theologen stimmen darin überein, dass es keine Ähnlichkeit oder Analogie im Sein (analogia entis) zwischen Gott und Schöpfung gibt, obgleich das Geschaffene von Gott abhängt. Deshalb schrieb St. Gregor der Theologe: “Es ist unmöglich, Gott auszudrücken, und noch unmöglicher, ihn zu begreifen” (Oratio Theologica 2,4).

15. Diejenigen, die Gottes Herrlichkeit erfahren haben, die in sich selbst weder in Worten ausgedrückt, noch in Gedanken begriffen werden kann, sind doch inspiriert, Ausdrücke und Gedanken der allgemeinen Sprache zu verwenden, um andere zu der gleichen Erfahrung zu leiten. Der hl. Paulus schreibt: “Weil ihr Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, der schreit: Abba, lieber Vater!” (Gal 4,6). Dies Kommen des Geistes in die Herzen ist die normale Form der Inspiration in den Gläubigen (Röm 8,
14-17.26f.). Der Heilige Geist bewirkt dies durch die Predigt, das Lehren und Leben solcher, die bereits inspiriert sind (Röm 10,13-15; 1.Kor 4,16; 11,1).

16. Die alttestamentliche Epoche bereitete den Weg für die Annahme der Inkarnation des Sohnes Gottes durch die prophetische Tradition, wie sie durch St. Johannes den Täufer repräsentiert wird, durch Maria, die Mutter Gottes, und durch andere Glaubende, die ihren Platz in der frühen christlichen Gemeinde fanden. Christus offenbarte sich selbst als der, der von Natur die gleiche Herrlichkeit mit seinem Vater hat, durch sein Lehren, seine Wunder und besonders durch die Offenbarung seiner Herrlichkeit in seiner Taufe und Verklärung, der Kreuzigung, Auferstehung, Himmelfahrt, durch Pfingsten. Durch Pfingsten wurde die Kirche der Leib Christi und wird so in alle Wahrheit geführt.

17. Die wechselseitige Durchdringung von Offenbarung und Inspiration, die in Pfingsten gipfelt, setzt sich im Leben der Kirche fort. Im Leben der Kirche werden Christen, die “ein Tempel des Heiligen Geistes” (1.Kor 6,19) und deshalb Glieder des Leibes Christi sind, in alle Wahrheit geführt, in der Erfahrung der Verherrlichung, wie der Herr zum Vater gebetet hat: “Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die Du mir gegeben hast, denn Du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war” (Joh 17,24).

18. Ausdrücke und Gedanken biblischer Autoren über Gott sind inspiriert, weil sie die irrtumsfreien Wegweiser zur Gemeinschaft mit Gott sind. Aber die Autoren haben keine Inspiration über geschaffene Wahrheiten erhalten, ausser dass Gott die Welt nach seinem Willen aus nichts (ex nihilo) geschaffen hat. Auch die menschlichen Worte Christi sind Wegweiser zur pfingstlichen Verherrlichung und sind nicht diese Verherrlichung selbst, da Gott, wie er in der Verherrlichung offenbart wird, weder gedacht noch ausgedrückt werden kann. Deshalb ist die Heilige Schrift nicht als Ersatz für wissenschaftliche Forschung zu benutzen. Einige Bücher der Bibel sind von solchen Autoren geschrieben, die selbst die Verherrlichung erlangt haben, während andere Bücher über sie oder über historische Ereignisse geschrieben wurden.

19. Authentische Ausleger der Heiligen Schrift sind Menschen, die die gleiche Erfahrung der Offenbarung und Inspiration im Leibe Christi hatten wie die biblischen Schreiber. Deshalb ist es notwendig für ein authentisches Verstehen, dass jeder, der die Bibel liest oder hört, vom Heiligen Geist inspiriert ist. Die Orthodoxen glauben, dass solche authentische Auslegung der Dienst der Kirchenväter ist, wie er besonders in den Entscheidungen der ökumenischen Konzile zum Ausdruck kommt. Lutheraner stimmen im Grundsatz zu. Die lutherischen Bekenntnisschriften versichern, dass niemand an Jesus Christus glauben kann aufgrund seiner eigenen Vernunft oder Fähigkeiten, sondern dass es der Heilige Geist ist, der Gläubige beruft, sammelt und erleuchtet durch das Evangelium, gleich wie er die ganze Kirche auf Erden beruft, sammelt und erleuchtet und sie bei Jesus Christus in dem einen wahren Glauben festhält (Luther, Kleiner Katechismus).

 

Siebente Plenarsitzung der Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission
5.-10. Juli 1993, Sandbjerg, Dänemark

AUTORITÄT DER KIRCHE UND IN DER KIRCHE

A. DIE ÖKUMENISCHEN KONZILE

1. Die Autorität der Kirche gründet auf der in den Schriften des Alten und Neuen Testaments und der Heiligen Tradition bezeugten Heilsoffenbarung Gottes in Jesus Christus. Darüber hinaus ist die Kirche als Leib Christi vom Heiligen Geist bevollmächtigt. 1985 stellte die Gemeinsame Kommission in Allentown fest: “Gottes Offenbarung in Jesus Christus wird in der Kirche und durch die Kirche als Christi Leib verwirklicht. Das Heilsgeheimnis von Ostern und Pfingsten hat die Kirche des Neuen Testaments gestiftet, in der die Offenbarung gelebt, verkündigt und weitergegeben wird. Der Heilige Geist trägt das Leben und Wachstum der Kirche bis zum Jüngsten Tag durch die Verkündigung des Evangeliums in der Fülle der apostolischen Tradition und ihre Weitergabe von Ort zu Ort und von Generation zu Generation, nicht nur in Worten, sondern durch das ganze Leben der Kirche”.

2. Die Autorität der Kirche unterscheidet sich ihrem Wesen nach von der weltlichen Autorität. Unser Herr Jesus Christus sagte zu seinen Jüngern: “Die Könige herrschen über ihre Völker, und ihre Machthaber lassen sich Wohltäter nennen. Ihr aber nicht so! Sondern der Grösste unter euch soll sein wie der Jüngste, und der Vornehmste wie ein Diener. Denn wer ist grösser: der zu Tisch sitzt oder der dient? Ist’s nicht der, der zu Tisch sitzt? Ich aber bin unter euch wie ein Diener” (Lk 22,25?27). Alle Autorität der Kirche und in der Kirche wurzelt im Heilswerk Christi, der sein Leben für uns gegeben hat. Autorität und Soteriologie sind unteilbar. Die Autorität Christi, gegenwärtig in der Mission der Kirche (Mt 28,18?20), wird vom Parakleten unterstützt, der die Gläubigen in alle Wahrheit leitet (Jh 14,26; 16,7?14), und durch die Apostel und ihre Nachfolger der ganzen Kirche weitergegeben. Sowohl Orthodoxe als auch Lutheraner bestätigen, dass apostolische Autorität in den ökumenischen Konzilen der Kirche ausgeübt wurde, bei denen die Bischöfe durch vom Heiligen Geist bewirkte Erleuchtung und Verherrlichung ihre Verantwortung wahrnahmen. Ökumenische Konzile sind eine besondere Gabe Gottes an die Kirche und ein verbindliches Erbe durch die Zeitalter. Durch ökumenische Konzile hat der Heilige Geist die Kirche dazu geführt, den ein für allemal den Heiligen überlieferten Glauben (Jud 3) zu bewahren und zu vermitteln. Sie gaben die prophetische und apostolische Wahrheit weiter, formulierten sie gegen die Häresien ihrer Zeit und gewährleisteten die Einheit der Kirche.

3. Die sieben ökumenischen Konzile der Alten Kirche waren Versammlungen der Bischöfe der Kirche aus allen Teilen des Römischen Reichs, die den apostolischen Glauben klären und zum Ausdruck bringen sollten. Bei diesen Konzilen geht es um Nizäa (325 A.D.), Konstantinopel I (381), Ephesus (431), Chalcedon (451), Konstantinopel II (553), Konstantinopel III (680/81) und Nizäa II (787). Zu den Konzilen wurde 1987 auf Kreta festgestellt: “Die Heilige Tradition als fortwährendes Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche kommt im ganzen Leben der Kirche zum Ausdruck. Die Beschlüsse von ökumenischen Konzilen und lokalen Synoden der Kirche, das Lehren der heiligen Väter, liturgische Texte und Riten sind besonders wichtige und verbindliche Ausprägungen dieses mannigfaltigen Wirkens des Heiligen Geistes”. Ökumenische Konzile sind die Summe biblischer Theologie, und sie fassen Hauptthemen der Heiligen Tradition zusammen. Sie haben nicht nur historische Bedeutung, sondern sind für das kirchliche Leben unverzichtbar. Der apostolische Glaube und die apostolische Tradition, die durch die Heilsoffenbarung Gottes in Christus gewirkt wurden, sind durch sie im Konsens der versammelten Vertreter der Kirche unter der Leitung des Heiligen Geistes bekräftigt worden.

4. Die Lehren der ökumenischen Konzile der Alten Kirche sind für den Glauben und das Leben unserer Kirchen heute normativ. Die trinitarischen und christologischen Formulierungen dieser Konzile sind eine unerlässliche Anleitung zum Verständnis von Gottes Heilswerk in Christus und die Grundlage für alle späteren dogmatischen Klärungen. Das nizäno?konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis ist die bekannteste Glaubensaussage aus den alten Konzilen, und da jetzt seine ursprüngliche Form im Westen immer gebräuchlicher wird, ist es ein immer lebendigeres Band zwischen unseren Kirchen. Es gestaltet die Sprache der Gebete und des Segens in unsern Gottesdiensten, und durch seinen Gebrauch ist die Kirche der Offenbarung des dreieinigen Gottes treu geblieben.

5. Die ökumenischen Konzile trafen nicht nur Entscheidungen zu Lehrproblemen, die die Integrität von Gottes Offenbarung und die Einheit der Kirche bedrohten; sondern sie beschlossen auch über “canones” (Richtlinien), die für gute Ordnung innerhalb der Kirche sorgten. Diese “canones” stellen eine enge Beziehung her zwischen dem “den Heiligen ein für allemal überlieferten Glauben” und der Notwendigkeit, das kirchliche Leben und die kirchlichen Strukturen zu regeln. Die “oroi” (Lehrdekrete) bewahren das Lehren der Kirche in bezug auf das Heil; die Kanones regeln verschiedene Aspekte des kirchlichen Lebens. Sie sind praktische Ausprägungen der “oroi”. Beide gehören als Aspekte der gleichen Realität zusammen. Dennoch haben nicht alle Entscheidungen über kanonische Angelegenheiten die gleiche Autorität wie die Lehrentscheidungen, und die orthodoxen und die lutherischen Kirchen haben sie unterschiedlich rezipiert und angewendet.

6. Die ökumenischen Konzile wurden zur Behandlung von spezifischen Problemen, die sich in den Kirchen stellten, einberufen. Sie waren nicht eine ständige, ordnungsgemäss einberufene kirchliche Institution, sondern Ad?hoc?Zusammenkünfte, die zusammentraten, wenn es erforderlich war. Die ökumenischen Konzile waren charismatische Ereignisse. Die Erklärungen der vom Heiligen Geist erleuchteten Bischöfe machten in den darauffolgenden Jahren einen Rezeptionsprozess durch. Rezeption fand in allen Bereichen des kirchlichen Lebens ? Gottesdienst, Katechese und Dienst ? statt, selbst wenn diese Konzile nicht ausdrücklich erwähnt werden. Rezeption geschah auch durch spätere theologische Diskussionen, die die Bedeutung von auf früheren Konzilen formulierten Termini und Ausdrücken klärten. Ein bemerkenswertes Beispiel ist die theologische Diskussion nach Nizäa, die in den Dekreten und dem Glaubensbekenntnis des ersten Konzils von Konstantinopel im Jahre 381 ihren Höhepunkt fand.

7. Als Lutheraner und Orthodoxe versichern wir, dass die Lehren der ökumenischen Konzile für unsere Kirchen verbindlich sind. Die ökumenischen Konzile bewahren die Integrität des Lehrens der ungeteilten Kirche in bezug auf das erlösende, erleuchtende/rechtfertigende und verherrlichende Handeln Gottes und verwerfen Häresien, die das Heilswerk Gottes in Christus untergraben. Orthodoxe und Lutheraner haben jedoch eine unterschiedliche Geschichte. Die Lutheraner haben das Nizäno?Konstantinopolitanum mit dem Filioque?Zusatz rezipiert. Das siebente ökumenische Konzil, das zweite Konzil von Nizäa vom Jahre 787, das den Ikonoklasmus verwarf und die Verehrung von Ikonen in den Kirchen wiederherstellte, gehörte nicht zu der von der Reformation übernommenen Tradition. Die Lutheraner haben jedoch den Ikonoklasmus des sechzehnten Jahrhunderts verworfen und zwischen der dem dreieinigen Gott einzig gebührenden Anbetung und anderen Formen der Verehrung (CA 21) unterschieden. Durch Geschichtsforschung ist dieses Konzil besser bekannt geworden. Nichtshdestoweniger hat es für die Lutheraner nicht die gleiche Bedeutung wie für die Orthodoxen. Doch stimmen Lutheraner und Orthodoxe miteinander überein, dass das zweite Konzil von Nizäa das christologische Lehren der früheren Konzile anerkannt und mit seiner Beschreibung der Rolle von Bildern (Ikonen) im Leben der Gläubigen die Realität der Inkarnation des ewigen Wortes Gottes mit den folgenden Worten neu bestätigt hat: “Je häufiger” unser Herr Jesus Christus, die hl. Gottesgebärerin, die ehrwürdigen Engel und alle Heiligen und Seligen “in bildlicher Wiedergabe gesehen werden, desto mehr werden auch die, die diese betrachten, dazu gezogen, der Urbilder zu gedenken und sich nach ihnen zu sehnen und dazu, ihnen die geziemende Verehrung zu erweisen. Freilich gebührt ihnen nach unserem Glauben nicht die wahre Anbetung, die allein der göttlichen Natur zukommt, sondern eine Verehrung nach der Weise, wie sie dem Abbild des kostbaren und lebenspendenden Kreuzes, den heiligen Evangelienbüchern und den übrigen heiligen Gegenständen erwiesen wird” (Definition des zweiten Konzils von Nizäa).

8. Die Übereinstimmung über die Autorität der ökumenischen Konzile macht es erforderlich, dass wir auf zukünftigen Treffen das orthodoxe und das lutherische Heilsverständnis im Lichte dieser Konzile erörtern.
Achte Plenarsitzung der Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission
1.- 8. August 1995, Limassol, Zypern

AUTORITÄT DER KIRCHE UND IN DER KIRCHE

B. DAS VERSTÄNDNIS DES HEILS IM LICHTE DER ÖKUMENISCHEN KONZILE

Auf der V. Tagung der Gemeinsamen Lutherisch-Orthodoxen Kommission im Jahre 1989 in Bad Segeberg (Deutschland) wurde beschlossen, die Dialogarbeit unter dem neuen Thema: “Die Autorität der Kirche und in der Kirche” fortzusetzen. Dieses Thema wurde mit besonderem Bezug auf die Ökumenischen Konzile auf der VII. Tagung der Gemeinsamen Kommission im Jahre 1993 in Sandbjerg (Dänemark) weiterbesprochen und endete mit einer Gemeinsamen Erklärung. Man kam überein, auf der Plenarsitzung der VIII. Tagung der Gemeinsamen Kommission im Jahre 1995 in Limassol (Zypern) folgendes Thema zu behandeln: “Verständnis des Heils im Lichte der Ökumenischen Konzile”.

I. Das Geheimnis Gottes und verbindliche Lehrformulierungen

1. Der Dreieinige Gott ist das Mysterium, in dem wir “leben, weben und sind” (Apg 17,28). Dies Mysterium, das an Pfingsten durch die Ausgiessung des Heiligen Geistes offenbart wurde, wird beständig in der Kirche gelebt und erfahren. Die Lehrformulierungen der sieben Ökumenischen Konzile bringen die Kontinuität des apostolischen Glaubens im Leben der Kirche zum Ausdruck und sind Leitlinien für das christliche Leben. Diese Lehrformulierungen befähigen die Gläubigen, die Herrlichkeit Gottes recht zu verehren, zu preisen und zu bezeugen.

2. Das Geheimnis Gottes darf nicht mit Lehrformulierungen über die Heilige Dreieinigkeit und die Inkarnation verwechselt werden. Diese Lehrformulierungen sind auch die nötigen Wegweiser auf dem schmalen Pfad, die den Gläubigen helfen, häretische Abweichungen und Götzendienst zu vermeiden, die entstehen, wenn theologische Spekulation mit dem Sein und Wesen Gottes und der Personen der Heiligen Dreieinigkeit gleichgesetzt wird. “Es ist unmöglich, Gott auszudrücken, und noch viel unmöglicher, Ihn überhaupt zu begreifen” (St. Gregor der Theologe, Oratio Theologica 2,4).

3. Sowohl die Orthodoxie unserer Lehre als auch die Wirklichkeit unserer Teilhabe am Leib Christi manifestiert und bewährt sich in einem Leben, von dem wahrhaftig mit Paulus gesagt werden kann: “Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben” (Gal 2,20).

4. Als Lutheraner und Orthodoxe bekräftigen wir, dass Christen unter der Leitung des Heiligen Geistes durch den Glauben an die Erfahrung Gottes als Geheimnis wachsen, dass dieser Glaube sich nährt aus der Liturgie der Kirche, aus dem apostolischen Glauben, aus dem Gebet und der Teilhabe am täglichen Leben der Ortsgemeinde.

5a. Orthodoxe und Lutheraner sind sich einig in der Lehre von Gott, der Heiligen Dreieinigkeit, wie sie auf den Ökumenischen Konzilen von Nizäa und Konstantinopel formuliert wurde, und in der Lehre von der Person Christi, wie sie von den vier ersten Ökumenischen Konzilen formuliert wurde. Die Väter der vier Konzile verwarfen die arianische und eunomianische Meinung, dass der Logos, der “Engel des grossen Rates” (Jes 9,6 LXX), vor allen Zeiten geschaffen wurde, und bestanden darauf, dass der Logos “homoousios to patri” ist. Sie verwarfen auch die Meinung der Nestorianer, dass der von der Jungfrau Maria Geborene nicht der Logos selbst sei, sondern der Logos nur dem von der Jungfrau Maria Geborenen einwohne. Kurz gesagt, die Väter der Konzile versicherten, dass der von der Jungfrau Maria Geborene Gott ist seinem Wesen nach und nicht nur aufgrund des Willens des Vaters und dass er in seiner Menschlichkeit mit uns homoousios wurde. Die Einheit zwischen der göttlichen und der menschlichen Natur in der Hypostase des Logos ist nach dem Konzil von Chalkedon “unvermischt, unverwandelt, ungetrennt und ungesondert”. Die darauffolgenden Ökumenischen Konzile bekräftigten diese Lehren und wendeten sie im Falle neuer Glaubensherausforderungen an. Das Fünfte Ökumenische Konzil nahm zwei theologische Terminologien im Bekenntnis des einen Herrn Jesus Christus als orthodox an. Das Sechste Ökumenische Konzil bekräftigte die beiden den zwei Naturen entsprechenden Willen und Energien der einen Person des menschgewordenen Logos mit ihren jeweiligen Eigenschaften. Das Siebente Ökumenische Konzil zog aus der Bestätigung der hypostatischen Union in Christus Schlussfolgerungen für die Ikonenverehrung.

5b. Wir stimmen diesen grundlegenden Lehren zu und bekennen Jesus Christus, den Logos, der für uns und um unserer Seligkeit (soteria) willen vom Himmel herabgestiegen ist, durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria Gestalt annahm und um unsertwillen gekreuzigt wurde, auferstanden und erhöht zur rechten Hand des Vaters ist. Er wird wiederkommen in Herrlichkeit zu richten die Lebenden und die Toten.

5c. Wir bekräftigen, dass zwischen Ostern und der endgültigen Parusie der Heilige Geist, der Herr und Lebenspender, “den ich [Jesus Christus] euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht ” (Jh 15,26), die Glaubenden in den Leib Christi beruft, sammelt, erleuchtet und verherrlicht.

5d. Wir bekräftigen, dass das Heilswerk (oikonomia) des Dreieinigen Gottes die ganze sündige Menschheit umgreift. “Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber” und ruft durch den Dienst der Versöhnung alle Menschen: “Lasst euch versöhnen mit Gott!” (2 Kor 5,19?20).

5e. Dies sind die Lehrformulierungen der apostolischen und orthodoxen kirchlichen Lehre über das Heil.

II. Rechtfertigung und Verherrlichung als Beschreibung des Heils

6. Die Sprache, mit der die Konzile und die Väter der Alten Kirchen das biblische Zeugnis vom Heil ausgedrückt und geklärt haben, ist die privilegierte, einzigartige und nicht ersetzbare christliche Sprache. Nach ihrem Verständnis ist das Heil unsere Befreiung aus der Sklaverei des Teufels und des Todes sowohl im Alten als auch im Neuen Testament sowie unsere Teilhabe am Leben Christi, der den Tod durch seinen Tod zunichte machte und Leben schenkt denen, die im Grabe liegen. In diesem Zusammenhang ist Rechtfertigung (dikaiosis) die Befreiung von der Herrschaft des Teufels und die Wiederherstellung unserer gerechten Beziehung zu Gott. Diejenigen, die so gerechtfertigt sind, werden verherrlicht (Röm 8,30) im Leib Christi, der Kirche. Durch die Taufe und Teilhabe an den anderen Geheimnissen (Sakramenten) der Kirche werden die Glaubenden auferweckt zu einem neuen Leben, und ihnen ist Auferstehung geschenkt in Christus zusammen mit den Heiligen und Propheten des Alten Testamentes. Gott gibt ihnen im Heiligen Geist die Kraft, durch die Läuterung und Erleuchtung des Herzens hindurchzuschreiten und “mit allen Heiligen” (Eph 3,18) bei der Verherrlichung (Mt 17,2; Joh 17,22; 2Kor 3,18; 2Pet 1,4) anzulangen. Verherrlichung mag in diesem Leben in verschiedenen Gestalten auftreten und verschiedene Dauer haben und wird im nächsten Leben von Herrlichkeit zu Herrlichkeit ohne Ende schreiten.

7. Die Lehren der Ökumenischen Konzil und der Väter – sowie der Heiligen Schrift müssen in allen menschlichen Sprachen von Generation zu Generation überliefert werden, denn Gott will, dass alle Menschen in den Besitz der Wahrheit kommen (vgl. 1Tim 2,4). Im Neuen Testament wird das eine Geheimnis des Heils in unterschiedlichen, aber im wesentlich komplementären Begriffen wie Heiligung, Rechtfertigung, Erlösung, Annahme, Befreiung, Verherrlichung usw. ausgedrückt. Bei der Auslegung des apostolischen Lehrens über das Heil haben unsere zwei kirchlichen Traditionen verschiedene Akzente gesetzt.

8. Für die Orthodoxe Kirche ist das Heil eine freie Gabe Gottes, die allen Menschen in Jesus Christus dargebracht wird (vgl. 1Tim 2,4; Joh 3,17). Sie müssen diese Gabe sowohl frei wählen (Apk 3,20) als auch dafür arbeiten (vgl. 1Kor 3,13; 15,58; Phil 2,12). Nach Paulus ist das Synergia Mitarbeit (vgl. 1Kor 3,13; 15,58; Phil 2,12). Wird diese Gabe der göttlichen Gnade im Glauben angenommen, wird Christus wahrhaftig durch das Wort Gottes und die Geheimnisse der Kirche zum Arzt für Seele und Leib der Gläubigen im Heiligen Geist. Er läutert ihre Herzen (vgl. Ps 50/51,10; Apg 15,9) und erneuert fortwährend ihren Geist (vgl. Röm 12,2; 2Kor 4,16), und führt sie so von der Erleuchtung/Rechtfertigung (vgl. 2Kor 4,6), die gekennzeichnet ist vom Gebet im Herzen (Röm 8,26; Eph 5,19; 6,18; Kol 3,16) und dem Einhalten der Gebote (vgl. 1Jh 3,22), zur Verherrlichung (vgl. Jh 17,22; 1Kor 12; 26). Die Orthodoxe Kirche ist nicht der Ansicht, dass die Menschheit die Schuld der Sünde Adams ererbt hat und deshalb der ewigen Verdammnis wert ist oder dass Gott aus den Schuldigen nur einige wenige ohne persönliches Verdienst zur Erlösung auserwählte oder Christus am Kreuz nur für einige und nicht für alle starb oder dass Christus nur die für den Himmel prädestinierten Sünder liebt oder dass Christus gekreuzigt wurde, um Gott der Menschheit zu versöhnen.

9. Die Lutheraner verstehen Gottes Heilswerk in Christus durch den Heiligen Geist vor allem mit Hilfe des Begriffs der “Rechtfertigung”. Für die Lutheraner ist Rechtfertigung Gottes gnädige Erklärung der Sündenvergebung um des gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus willen und gleichzeitig die freie Gabe eines neuen Lebens in ihm. Durch das liturgische Leben, die Predigt und die Sakramente der Kirche macht es uns der Heilige Geist den Glauben an das Evangelium möglich, d.h. an Gottes gnädige Verheissung der Vergebung und des neuen Lebens. Diese Verheissung wird allein durch den Glauben empfangen – “sola fide”; das heisst, dass das Heil allein aus Christus kommt und nicht aus irgendwelchen menschlichen Werken oder Verdiensten. Im Glauben vertrauen sich Christen gänzlich Gottes Gnade in Christus für das Heil an. Auf diese Weise treten sie in eine neue Beziehung mit Gott ein, mit Paulus’ Worten: “Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus” (Röm 5,1). Rechtfertigung ist wahre Teilhabe an Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch. In der Kirche hat der aus dem Glauben Gläubige an Christus und all seinen Gaben teil und nimmt somit auch am göttlichen Leben teil. Die Anwesenheit Christi im Glauben hat übt wirklich einen Einfluss auf die Gerechtigkeit Christi in uns aus und führt die Gläubigen zu der Heiligung ihres Lebens. Auf diese Weise wirken die Gläubigen ihr Heil mit Furcht und Zittern im Vertrauen darauf, dass Gott in Christus in ihnen beides wirkt, das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen (Phil 2,12-13).

10. Lutheraner und Orthodoxe sind sich einig, dass die Ökumenischen Konzile der Alten Kirche eine spezielle Gabe Gottes an seine Kirche sind. Die Konzile sind über die Jahrhunderte hinweg ein verbindliches Erbe gewesen, denn sie bewahren die prophetische und apostolische Wahrheit und stellen Richtlinien für die Läuterung und Erleuchtung des Herzens bis zur Verherrlichung in Christus für das Heil und die Rechtfertigung der Menschenheit durch die Jahrhunderte hinweg zur Verfügung.

11. Lutheraner und Orthodoxe müssen ihre unterschiedlichen Auffassungen von Heil als Läuterung, Erleuchtung und Verherrlichung mit Hilfe von “synergia” aus der orthodoxen Lehre und Tradition und als Rechtfertigung und Heiligung mit Hilfe von “sola fide” aus der lutherischen Lehre und Tradition noch weiter prüfen.
Neunte Plenarsitzung der Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission
31. Juli – 8. August 1998, Sigtuna, Schweden

AUTORITÄT DER KIRCHE UND IN DER KIRCHE IM LICHT DER ÖKUMENISCHEN KONZILE

C. HEIL: GNADE, RECHTFERTIGUNG UND SYNERGIE

Das bereits 1989 in Bad Segeberg (Deutschland) und 1991 in Moskau (Russland) vorgeschlagene allgemeine Thema “Autorität der Kirche und in der Kirche im Licht der Ökumenischen Konzile” der Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission wurde 1993 in Sandbjerg (Dänemark) endgültig angenommen. 1995 kam die Achte Tagung der Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission in Limassol (Zypern) zum Schluss ihrer Erklärung über “Das Verständnis des Heils im Licht der Ökumenischen Konzile” überein, dass “Lutheraner und Orthodoxe ihre unterschiedlichen Auffassungen von ‘synergeia’ in der orthodoxen Lehre und Tradition und ‘sola fide’ aus der lutherischen Lehre und Tradition noch weiter prüfen müssen”. In Erfüllung dieses Auftrages stimmte die Neunte Plenartagung der Gemeinsamen Kommission in Sigtuna der folgenden Erklärung zu.

1. “Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben” (Johannes 3,16). Der Logos, der Sohn Gottes, in dem alles erschaffen wurde, ist das Licht, das alle erleuchtet. Der Logos offenbarte sich Abraham, den Propheten des Alten Testaments und in dem Moses gegebenen Gesetz. In den letzten Tagen “ist Er Mensch geworden für uns und zu unserem Heil” (Nizäno-Konstantinopolitanum, 381), das Er vollendete durch Sein Leben, Seinen Tod und Seine Auferstehung und durch die Gabe des Heiligen Geistes an die Kirche, seinen Leib, zu Pfingsten. Das Heil ist vollständig abhängig von der Gnade der Heiligen Dreieinigkeit, uns gegeben und erfahren durch Wort und Sakrament im Leben der Kirche. Die Gnade Gottes kommt zu den Menschen vom Vater, durch den Sohn, im Heiligen Geist. Der Vater erschafft, erlöst und verherrlicht uns durch den Sohn im Geist.

2. Lutheraner und Orthodoxe lehren, dass die göttliche Gnade sich ewig aus Gottes Liebe zu seiner Schöpfung ergiesst. Sie überwindet die Sünde der Menschen, um Gottes Plan in der Fülle der Zeit zu vollenden, “dass alle Dinge zusammengefasst würden in Christus, beides, was im Himmel und auf Erden ist” (Epheser 1,10). Die Gnade ist nicht nur eine Antwort auf menschliche Sünde. Lutheraner und Orthodoxe lehren beide, dass Gott die Menschen zu voller Gemeinschaft in Ihm aufruft und dabei über alles menschliche Begreifen hinaus wahrer Gott bleibt. Die Orthodoxen bringen dies zum Ausdruck durch die Unterscheidung zwischen dem göttlichen Wesen, das unzugänglich ist (vgl. Exodus 33,18-23; 1. Timotheus 6,16), und den göttlichen unerschaffenen Energien, die Fülle der göttlichen Gnade, in der Gott zu uns herab kommt und an der wir alle teilzuhaben berufen sind. Wie der Hl. Basilius der Grosse sagt: “Wir erkennen unsern Gott aus Seinen Energien, behaupten aber nicht, dass wir Seinem Wesen nahe kommen können; denn Seine Energien kommen herab zu uns, doch sein Wesen bleibt unzugänglich” (Briefe 234,1). Die Lutheraner unterscheiden terminologisch nicht zwischen Wesen und Energien, stimmen aber der Überzeugung voll zu, dass Gottes Gnade uns aus seinem eigentlichen Wesen ewiglich zufliesst, denn “Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm” (1. Johannes 4,16).

3. Wie der Hl. Paulus lehrt, hat die uns erlösende Gnade ihre Mitte in Christus (vgl. Römer 5). Gnade setzt das Wirken Christi sowohl im Alten Testament (vgl. 1. Korinther 10,2-4) als auch im Neuen Testament (vgl. Römer 3,24) voraus und wird uns als die Gnade unseres Herrn Jesus Christus selbst geschenkt (vgl. 2. Korinther 13,13). Wir empfangen die Gnade Christi im Heiligen Geist, und ohne den Heiligen Geist kann niemand an Christus glauben (vgl. 1. Korinther 12,3). Der Heilige Geist, den Christus vom Vater sendet, gestaltet uns zum göttlichen Ebenbild. Der Heilige Geist ruft Menschen zum Glauben an Christus durch das Evangelium in der Kirche, befreit sie in der heiligen Taufe von Sünde und Tod, erleuchtet sie und verleiht ihnen Seine Gaben. Er heiligt und bewahrt die Getauften im wahren Glauben; Er nährt sie durch das Fleisch und Blut des Herrn (vgl. Johannes 6,56) in der Gemeinschaft (koinonia) des Leibes Christi (vgl. 1. Korinther 10,16-17). So führt Er sie durch viele Tiefen “von einer Herrlichkeit zur andern” (2. Korinther 3,18).

4. Wenn die Menschen sich auch von Gott abhängig fühlen mögen (vgl. Apostelgeschichte 17,23.27), können sie wegen der Sünde aus eigenem Vermögen weder göttliche Gnade erbitten noch erlangen. Die Gnade ist ganz und gar Gottes Gabe, die Gott schenkt, weil Gott will, dass alle Menschen gerettet werden (vgl. 1. Timotheus 2,4). Der Glaube ist von Anfang an Gottes Gabe, denn es ist der Heilige Geist, der durch göttliche Gnade den menschlichen Geist erleuchtet und den menschlichen Willen, sich Gott zuzuwenden, stärkt. Mit den Worten von Cyrill von Alexandria: “Denn die Seele des Menschen kann nichts Gutes erreichen, d.h. weder ihre eigenen Leidenschaften kontrollieren noch der Macht der gefährlichen Falle des Teufels entkommen, wenn sie nicht mit der Gnade des Heiligen Geistes gewappnet ist und auf diese Weise Christus selbst in seiner Seele hat” (Gegen Julian, 3).

5. Lutheraner und Orthodoxe lehren, dass die göttliche Gnade universal wirksam ist und Gott allen Menschen Gnade frei gewährt. Gottes rettende Gnade ist nicht aus Notwendigkeit oder auf unwiderstehliche Weise wirksam, da die Menschen sie auch ablehnen können. Im Hinblick auf die Art und Weise, wie sich die Glaubenden das Heil aneignen, betonen Lutheraner mit der Lehre, dass Rechtfertigung und Heil aus Gnade allein durch den Glauben (sola gratia, sola fide) geschehen, die absolute Priorität der göttlichen Gnade im Heil. Wenn sie von rettendem Glauben sprechen, denken sie dabei nicht an den toten Glauben, den selbst die Teufel haben (vgl. Jakobus 2,19), sondern an den Glauben, den Abraham bewiesen hat und der ihm zur Gerechtigkeit gerechnet wurde (vgl. Genesis 15,6; Römer 4,3.9). Auch die Orthodoxen bekräftigen die absolute Priorität der göttlichen Gnade. Sie betonen, dass Gottes Gnade unseren menschlichen Willen dazu befähigt, sich dem göttlichen Willen zu fügen (vgl. Philipper 2,13) – nach dem Gebet Jesu: “nicht wie ich will, sondern wie du willst” (Matthäus 26,39), so dass wir unser Heil mit Furcht und Zittern (vgl. Philipper 2,12) wirken können. Das verstehen die Orthodoxen unter Synergie (Zusammenwirken) der göttlichen Gnade und des menschlichen Willens des Glaubenden bei der Aneignung des göttlichen Lebens in Christus. Das Verständnis von Synergie im Heil wird gefördert durch die Tatsache, dass der menschliche Wille in der einen Person Christi nicht aufgegeben wurde, als nach den christologischen Entscheidungen der Ökumenischen Konzile die menschliche Natur in Christus mit der göttlichen Natur verbunden wurde. Wenngleich die Lutheraner den Begriff der Synergie nicht verwenden, erkennen sie doch die persönliche Verantwortung des Menschen bei der Annahme oder Ablehnung der göttlichen Gnade durch den Glauben und beim Wachsen im Glauben und Gehorsam gegenüber Gott an. Lutheraner und Orthodoxe verstehen beide gute Werke als Früchte und Ausdruck des Glaubens der Glaubenden und nicht als Mittel zum Heil.

6. Lutheraner und Orthodoxe bekräftigen, dass Heil reale Teilhabe durch Gnade an der Natur Gottes ist, wie der Hl. Petrus schreibt: “damit ihr dadurch teilhaftig werdet an der göttlichen Natur” (2. Petrus 1,4). Das geschieht durch unsere Teilhabe an Tod und Auferstehung des Herrn in Seinem Leib, in dem die ganze Fülle der Gottheit wohnt (vgl. Kolosser 2,9). Auf diese Weise wird das Heil als Reinigung, Erleuchtung und Verherrlichung – auch als Vergöttlichung (theosis) bezeichnet – verwirklicht. Diese Terminologie hat in der lutherischen Tradition keinen zentralen Platz eingenommen. Lutheraner sprechen eher von der Heiligung im Leib Christi, Der Selbst im Glauben der Glaubenden gegenwärtig ist. Gemeinsam mit den Orthodoxen bekräftigen die Lutheraner die Wirklichkeit der Teilhabe der Glaubenden am göttlichen Leben, in dem sie durch die Gnade Gottes wachsen.

7. Lutheraner und Orthodoxe bekräftigen, dass Christus, das fleischgewordene Wort, durch das Gott uns mit ihm selber versöhnt hat (vgl. 2. Korinther 5,18-19), für unsere Sünden am Kreuz gestorben ist (vgl. 1. Korinther 15,3) und uns durch Seine Auferstehung zu einem neuen Leben befreit hat (vgl. Römer 6,5), so dass wir in der Freiheit des Geistes leben können, nachdem wir die Begierden des Fleisches gekreuzigt haben (vgl. Galater 5,24-25).

Lutheraner sehen, dass das christliche Leben ein ständiger Kampf gegen die Sünde und das “Fleisch” ist (vgl. Galater 5,16-18), und schauen angesichts dieser schmerzlichen Erfahrung deshalb nicht auf ihre eigenen guten Werke oder ihr Scheitern, sondern schauen auf Christus am Kreuz und Seine Auferstehung und vertrauen auf Gottes Verheissung, das Wort der Vergebung in der Kirche. Daher legen die Lutheraner besonderen Nachdruck auf die forensische Dimension der Erlösung. Sie betonen, dass Gott Sünden vergibt und die Gerechtigkeit Christi den Sündern durch den Glauben anrechnet und dass wir uns deshalb bezüglich unseres Heils gänzlich auf die Barmherzigkeit des Vaters in Christus durch die Gemeinschaft des Heiligen Geistes (vgl. 2. Korinther 13,13) verlassen dürfen.

Für die Orthodoxen wird das Erlösungswerk Christi von den Glaubenden in der Kirche, Seinem Leib, empfangen, denen die Vergebung der Sünden vom Herrn verheissen wurde (vgl. Matthäus 18,18). In Glauben und Demut setzt der Glaubende sein Vertrauen auf die Wahrheit und die Kraft jener Verheissung, auf den unergründlichen Reichtum der Barmherzigkeit Christi (vgl. Epheser 2,4; 3,8), auf seine unermessliche Liebe zur Menschheit (philanthropia), auf die Gebete der Gemeinschaft der Heiligen (vgl. Hebräer 12,1. 22-23) und die Fürbitte der Allheiligen Theotokos (vgl. Johannes 2,3; 19,26-27). Der Kampf gegen die Leidenschaften (vgl. 1. Korinther 9,24-27; Epheser 6,10-17) in der Kraft des Heiligen Geistes ist Teilhabe an Tod und Auferstehung Christi. Er dient der Reinigung des Herzens (vgl. Matthäus 5,8) und der Erleuchtung (vgl. Matthäus 5,14; 2. Korinther 4,6) und führt zur Verherrlichung (vgl. Johannes 17,22; 2. Korinther 3,18; 2. Petrus 1,4).

8. Lutheraner und Orthodoxe glauben gemeinsam, dass “dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht wert sei, die an uns soll offenbart werden” (Römer 8,18). Im Heil werden wir durch die Gnade zu Kindern Gottes, und “es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es erscheinen wird, dass wir ihm gleich sein werden; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist” (1. Johannes 3,2). Und wir wissen auch, dass “das ängstliche Harren der Kreatur [darauf] wartet, dass Gottes Kinder offenbar werden” (Römer 8,19), und wir wissen, dass “die Kreatur wird frei werden von der Knechtschaft des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes” (Römer 8,21; vgl. 1. Korinther 15,52-54).

 

Zehnte Plenarsitzung der Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission
3.-10. November 2000, Damaskus, Syrien

DAS MYSTERIUM DER KIRCHE

A. WORT UND SAKRAMENTE (MYSTERIA) IM LEBEN DER KIRCHE

Die Gemeinsame lutherisch-orthodoxe Kommission arbeitet offiziell seit 1981. In der Zeit zwischen l985 und 1998 erörterte die Kommission folgende Themen: Göttliche Offenbarung, Schrift und Tradition, Kanon und Inspiration der Heiligen Schrift, Autorität der Kirche und in der Kirche im Licht der Ökumenischen Konzile. 1998 wurde auf der 9. Tagung der Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission in Sigtuna, Schweden, eine gemeinsame Erklärung über „Heil: Gnade, Rechtfertigung und Synergie” angenommen. Damit wurde die Behandlung des Themas „Autorität der Kirche und in der Kirche” abgeschlossen. In Sigtuna wurde ein neues allgemeines Thema vorgeschlagen: „Das Mysterium der Kirche” mit dem ersten Unterthema „Wort und Sakramente (Mysteria) im Leben der Kirche”. Die Gemeinsame Kommission vertieft damit die Behandlung des Themas Heil, indem sie sich mit der Frage des Lebens der Christen in der Kirche befasst. 1998 wurde bekräftigt, dass „Heil wahre Teilhabe am Wesen Gottes durch die Gnade ist, wie der heilige Petrus schreibt: ‘damit ihr dadurch Anteil bekommt an der göttlichen Natur‘ (2 Petr 1,4). Dies geschieht durch unsere Teilhabe am Tod und an der Auferstehung des Herrn in seinem Leib, in dem die ganze Fülle Gottes wohnt (vgl. Kol 2,9)” (Sigtuna, Par. 6.) Diese Teilhabe ist das Werk des Heiligen Geistes durch Wort und Sakramente im Leben der Kirche. Auf dieser Grundlage billigte die Gemeinsame Kommission auf ihrer Tagung in Damaskus, Syrien, im Jahre 2000 folgende Erklärung über Wort und Sakramente (Mysteria) im Leben der Kirche.
1. Die Kirche als der Leib Christi ist das mysterion par excellence, in dem die verschiedenen mysteria/Sakramente ihren Ort und ihre Existenz finden und durch den die Glaubenden teilhaben an den Früchten des ganzen Erlösungswerks Christi. „Denn Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Ratschluss, den er sich vorgesetzt hatte in Christus, damit er ausgeführt würde, wenn die Zeit erfüllt wäre: dass alle Dinge zusammengefasst würden in Christus, beides, was im Himmel und auf Erden ist” (Eph 1,9-10). Von diesem Mysterium schreibt der Apostel Paulus auch: „Nun freue ich mich in den Leiden, die ich für euch leide, und erstatte an meinem Fleisch, was noch mangelt an den Trübsalen Christi, seinem Leibe zugut, welcher ist die Gemeinde. Ihr Diener bin ich geworden nach dem Ratschluss Gottes, der mir anvertraut ist für euch, um Gottes Wort in seiner Fülle kundzumachen, nämlich das Geheimnis, das verborgen gewesen ist von allen Zeiten und Geschlechtern her; nun aber ist es offenbart seinen Heiligen” (Kol 1,24-26).

2. Wir bekräftigen dieses paulinische Verständnis der Kirche als mysterion. Aus dieser Sicht verstehen wir die verschiedenen Sakramente/mysteria als Heilsmittel, d.h. als spezifische göttliche Heilshandlungen der Kirche zum Heil der Glaubenden. Wir verstehen die mysteria in dem Sinn, dass Christus in ihnen und durch sie den Glaubenden seine erlösende Gnade auf eine wirkliche, wenn auch unergründliche Weise schenkt, in der wir die sichtbaren Zeichen erfassen, die in ihnen und durch sie geschenkte Gnade aber nur durch den Glauben erkennen. Diese Gnade der Sakramente ist eine freie Gabe Gottes im Heiligen Geist.

3. Die mysteria der Kirche gründen auf dem historischen Erlösungswerk Christi und unterscheiden sich als solche entschieden von hellenistischen, heidnischen und neoheidnischen Mysterien, die mit Magie verbunden sind. Der Begriff „mysteria” hat für die orthodoxe Tradition nicht die gleiche Bedeutung wie das Wort Sakrament. „Sakramentum” ist die lateinische Übersetzung des griechischen „mysterion”, und aus diesem lateinischen Wort haben sich im Westen spezifische theologische Konzeptionen entwickelt. Mysteria bezieht sich auf das unergründliche Wirken der göttlichen Gnade, die in und durch die spezifischen Handlungen gegeben wird, die in der Kirche und durch die Kirche vollzogen werden. Lutheraner verwenden den Begriff „Sakrament” gemäss der lateinischen Tradition, nach der diese unergründlichen Handlungen die Mittel sind, durch die die erlösende Gnade geschenkt wird, die der Vater durch den Sohn im Heiligen Geist der Kirche zum Heil der Welt gibt.

4. Der Begriff „Wort Gottes” hat unterschiedliche, aber auf einander bezogene Bedeutungen. In Bezug auf die heilige Trinität verweist er auf den göttlichen Logos. In Bezug auf Christologie und Soteriologie bedeutet er Jesus Christus, den inkarnierten göttlichen Logos und Heiland, in Bezug auf die Sakramente bedeutet es denselben inkarnierten und auferstandenen Christus als das Subjekt der mysteria/Sakramente. Neben dem Bezug auf den göttlichen Logos und dessen Erlösungswerk in der Geschichte hat „Wort Gottes” die Bedeutung der Verkündigung Christi und des Zeugnisses von ihm (kerygma) durch die Kirche. Die Verkündigung des Wortes Gottes führt somit zum Glauben, Menschen können nicht glauben, wenn ihnen nicht das Wort in der Kraft des Heiligen Geistes verkündigt wird (vgl. Röm 10,14-18).

5. Weil unsere Traditionen die christozentrische Natur der Kirche bekräftigen, verstehen sie Wort und Sakrament aus dieser Perspektive. Beide Traditionen verbinden die sakramentale Theologie mit der göttlichen Gnade, die ausströmt aus Jesu Christi Opfer am Kreuz, und erinnern sich auch der Ermahnung des Paulus: „eure Leiber hinzugeben als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst” (Röm 12,1). Durch Teilhabe am Leben der Kirche wachsen die Glaubenden in Heiligkeit heran „zum vollkommenen Mass der Fülle Christi” (Eph 4,13).

6. Wir bekräftigen gemeinsam, dass wenn das Wort Gottes gepredigt und gelehrt wird, die Gläubigen unter der Leitung des Heiligen Geistes darauf antworten, indem sie den Glauben der Kirche bekennen und an ihrem sakramentalen Leben teilnehmen. In diesem Sinne geht die Verkündigung des Wortes Gottes den Sakramenten voraus, während das Bekennen des Glaubens ein wesentliches Element der Feier der Sakramente ist (cf. Justin, I Apol., 66-67). Der heilige Irenäus von Lyon schreibt, das diejenigen, die die durch die Taufe empfangene Regel des Glaubens in sich tragen, nicht vom wahren Glauben abweichen können (Adv. Haer. I,9,4). Dies ist so, weil die Regel des Glaubens im Sakrament der göttlichen Eucharistie (des Heiligen Abendmahls) ständig bekräftigt wird. Die wechselseitige Durchdringung von Wort Gottes und Sakramenten findet in der Eucharistie ihren absoluten Ausdruck. Nach den Worten des heiligen Irenäus „steht unsere [die kirchliche] Lehre im Einklang mit der Eucharistie, während die Eucharistie die Lehre bekräftigt” (Adv. Haer. IV,18,5).

7. Lutheraner und Orthodoxe konvergieren in ihrer Lehre über die Kirche als Leib Christi, d.h. als göttliche und menschliche Wirklichkeit. Über diese gottmenschliche Realität schreibt der Hl. Paulus: „Nun aber hat Gott die Glieder gesetzt, ein jegliches am Leibe besonders, wie er gewollt hat. Wenn aber alle Glieder ein Glied wären, wo bliebe der Leib? Nun aber sind der Glieder viele, aber der Leib ist einer … Ihr seid aber der Leib Christi und Glieder, ein jeglicher nach seinem Teil” (1 Kor. 12,18-20.27). Durch die Gemeinschaft der Christen mit Christus und untereinander existiert die Kirche in der Geschichte als Gemeinschaft der Glaubenden, die die Wiederkunft ihres Herrn am Ende der Zeiten erwarten (vgl. Apg. 3,20-21).

8. In Bezug auf die Manifestation der Kirche in der göttlichen Ökonomie, d.h. in der Heilsgeschichte, bekräftigen wir gemeinsam, dass die Verkündigung des Evangeliums und die Verwaltung der Sakramente durch das geistliche Amt in der Kirche zu den wichtigsten Zeichen der Kirche gehören. Unsere beiden Traditionen lehren, dass die sichtbaren und materiellen Elemente der Sakramente wie Wasser, Brot und Wein konkrete und unveränderliche Elemente des Wirkens des dreieinigen Gottes in der Heilsgeschichte sind. Geschaffene Dinge werden so durch die Kraft des Heiligen Geistes Symbole von Christi Opfer, Kreuz und Auferstehung, sodass wir am göttlichen Leben teilhaben mögen. In diesem neuen Leben in Christus haben die Glaubenden durch Gnade teil an der Communio/Koinonia des dreieinigen Gottes, der sie von Sünde und Tod befreit und sie zu Verherrlichung und ewigem Leben führt.

 

Elfte Plenarsitzung der gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission
3. bis 10. Oktober 2002, Oslo, Norwegen

DAS MYSTERIUM DER KIRCHE

B. MYSTERIA/ SAKRAMENTE ALS HEILSMITTEL

Auf ihrer Tagung in Sigtuna (Schweden) 1998 wählte die gemeinsame lutherisch-orthodoxe Kommission das Thema “Das Mysterium der Kirche”. Im Rahmen ihrer Tagung in Damaskus (Syrien) 2000 nahm die Kommission eine gemeinsame Erklärung unter dem Titel “Das Mysterium der Kirche: Wort und Sakramente (Mysteria) im Leben der Kirche” an. Ausserdem beschloss die Kommission, unter dem gleichen Thema als nächstes “Die Sakramente (Mysteria) als Heilsmittel” zu untersuchen. Die folgende Erklärung baut somit auf dem bisher festgestellten Konsens auf und zwar nicht nur im Blick auf das Thema “Wort und Sakramente (Mysteria) im Leben der Kirche”, sondern auch im Blick auf den Konsens, der bereits früher im Dialog festgestellt wurde, insbesondere in der Erklärung “Heil, Gnade, Rechtfertigung und Synergie” aus dem Jahr 1998. Die aktuelle Erklärung sollte im Kontext der früheren Arbeit der Kommission betrachtet werden, in der zugleich bekräftigt wurde, dass “Heil reale Teilhabe durch Gnade an der Natur Gottes ist” (Sigtuna 1998.6) und dass die Sakramente/Mysterien “Heilsmittel, d.h. spezifische Heilshandlungen der Kirche zum Heil der Glaubenden” sind (Damaskus 2002.2). Durch die Sakramente “verleiht Christus den Glaubenden seine erlösende Gnade”, denn die “Gnade der Sakramente ist eine freie Gabe Gottes im Heiligen Geist” (Damaskus 2002.2).

1. Die Mysterien/Sakramente gründen auf der Inkarnation, der Lehre, dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi, wie sie in der Heiligen Schrift bezeugt sind. Die Sakramente der Kirche sind die Mittel, durch die Christus sein Erlösungswerk, das ein für allemal in der Vergangenheit geschah, in die Geschichte der Kirche ausdehnt. Diese Mysterien erneuern den Glaubenden in der Liebe Gottes des Vaters durch die Kraft des Heiligen Geistes und gliedern sie in den Leib Christi – die Kirche – ein, wo sie am Leben Christi teilhaben. Die Sakramente sind Frucht des Heilswirkens Christi. Sie werden in der Kirche vollzogen und gewähren spezifische Gnadengaben zur Erlösung der Glaubenden und zum Aufbau des Leibes Christi.

2. Kirche und Sakramente sind nicht voneinander zu trennen: Die Kirche manifestiert sich durch die Sakramente und es gibt keine Sakramente ohne sie oder ausserhalb der Kirche. Wir stimmen darin überein, dass die Kirche selbst Mysterion ist und zwar nicht in dem Sinne, dass sie als Quelle der anderen Sakramente oder als zusätzliches Sakrament neben diesen verstanden werden sollte, sondern in dem Sinne, dass sie der Leib Christi ihres Herrn ist, “nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt” (Eph.1,22.23).

3. Wir stimmen weiterhin darin überein, dass diejenigen, die die Sakramente vollziehen, dies in persona Christi tun. Wenn die ordinierten Diener Christi ihren sakramentalen Dienst in der Kirche ausüben, handelt Christus selbst, als der wahrer Hohepriester und Hauptliturg. Die Sakramente der Kirche sind daher Handlungen Christi in der Kraft des Heiligen Geistes durch die als Mittel Er tauft, Sünden vergibt, Leben schenkt und Seinen eigenen Leib und Sein eigenes Blut für das Heil aller Glaubenden hingibt. Ambrosius sagt über die Einsetzung: “Der Priester spricht nicht seine eigenen Worte, sondern die Worte Christi. Daher bewirkt das Wort Christi dieses Sakrament” (De sacramentis 4,14). Das in der Kirche geschenkte Heil ist also das Werk des Dreieinigen Gottes. Johannes Chrysostomos formuliert wie folgt: “Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist sind die allein handelnden, während der Priester seine Zunge leiht und seine Hand darbietet” (Kommentar zum Johannesevangelium,
PG 59,472).

4. Das durch die Sakramente vermittelte Heil muss durch Glauben und Leben in Christus durch den Heiligen Geist persönlich angeeignet werden. Auf lutherischer Seite wird diese Erkenntnis wie folgt formuliert: Die Sakramente sind objektiv gültig durch das Wort und Gebot Christi, im Blick auf ihre Wirksamkeit sind sie doch abhängig von der Annahme im Glauben durch den Gläubigen. Orthodoxe sprechen in diesem Kontext nicht von “Gültigkeit” oder “Wirksamkeit”. Lutheraner und Orthodoxe bemühen sich jedoch beiderseits zwei Extreme zu vermeiden, zum einen dass die Sakramente in ihrer Wirksamkeit von der Würdigkeit des Zelebranten oder des Verwalters abhängig gemacht werden, zum anderen, dass darauf bestanden wird, dass die Sakramente bereits durch den Vollzug einer Handlung allein Gnade verleihen. Wir stimmen also beispielsweise darin überein, dass diejenigen, die Leib und Blut Christi im Glauben empfangen, dies zu Ihrem Heil tun, während wer “unwürdig von dem Brot isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, schuldig sein wird am Leib und Blut des Herrn” (1. Kor.11,27).

5. Lutheraner und Orthodoxe lehren, dass die Sakramente von Jesus Christus eingesetzt und durch den Heiligen Geist in der Kirche offenbart werden. Was die Zahl der Sakramente anbetrifft, so wurden nach orthodoxem Verständnis die folgenden Sakramente vom Herrn eingesetzt: Taufe, Salbung (Chrismation), Eucharistie, Busse, Ordination, Ehe und heilige Ölung (euchelaion). Neben diesen sieben für das Heil der Glaubenden gegebenen Sakramenten gibt es zahlreiche andere liturgische Handlungen, durch die Gott viele Lebensbereiche der Gläubigen sowie auch die ganze Schöpfung segnet. Lutheraner bestehen nicht auf einer bestimmten Anzahl von Sakramenten, halten sich jedoch im allgemeinen an ein engeres Sakramentenverständnis, wobei darauf bestanden wird, dass unter den vielen in der Heiligen Schrift genannten rituellen Handlungen nur zwei – Taufe und Eucharistie bzw. Abendmahl – sowohl ein Gebot Christi (“tut dies”) wie auch eine damit einhergehende Verheissung des Heils einschliessen. Gleichzeitig gibt es in der lutherischen theologischen Tradition Elemente, die das Sakramentenverständnis über Taufe und Eucharistie hinaus ausweiten, so dass beispielsweise Busse sowie Ordination als Sakramente betrachtet werden können (siehe Apologie XIII). Lutheraner und Orthodoxe stimmen darin überein, dass Gott die Christen zu ihrem Heil an die Sakramente der Kirche gebunden hat, dass seine souveräne Freiheit aber unbeeinträchtigt bleibt von seiner Treue zu und in den Sakramenten.

6. Orthodoxe und Lutheraner stimmen bei einer vorläufigen Erörterung der Sakramente in der Betonung der Initiationssakramente der alten Kirche, d.h. Taufe, Salbung (Chrismation) und Eucharistie, überein. Wir stimmen auch darin überein, dass die Taufe mit Wasser im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes geschieht. Sie bewirkt die Vergebung der Sünden und ist Teilhabe an Tod und Auferstehung Christi, durch die, wer da glaubt, in den Leib Christi als Glied der Kirche aufgenommen wird. Für die Orthodoxen wird diese Aufnahme durch die Salbung (Chrismation) vollendet, in der jeder Getaufte die Gaben des Heiligen Geistes empfängt. Nach lutherischem Verständnis geschieht die Salbung mit dem Heiligen Geist im Taufritus selbst und findet ihren Ausdruck in der Handauflegung nach der Taufe mit Wasser.

7. In Bezug auf die heilige Eucharistie treffen sich Lutheraner und Orthodoxe in ihrer Betonung der Realität des in den eucharistischen Elementen gegebenen und empfangenen Leibes und Blutes Christi. In diesem Zusammenhang sprechen die Orthodoxen von einer Wandlung (metabole) der eucharistischen Elemente, so dass nach der Anrufung des Heiligen Geistes (epiclesis) nicht mehr “Brot” und “Wein” da sind, sondern der wahre Leib und das wahre Blut Christi. Lutheraner sprechen traditionsgemäss davon, dass der wahre Leib und das wahre Blut Christi “in mit und unter” dem Brot und dem Wein gegenwärtig sind. Lutheraner und Orthodoxe stimmen darin überein, dass sie in der Eucharistie nicht gewöhnliches Brot und gewöhnlichen Wein empfangen, sondern Leib und Blut Christi. So heisst es bei Paulus: “Ist der gesegnete Kelch, welchen wir segnen, nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?” (1.Kor.10,16).

Auf der Grundlage dieser Diskussion schlagen wir vor, dass die 12. Tagung der gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission folgendes Thema behandelt:

Das Mysterium der Kirche:
C. Taufe und die Chrismation als Sakramente der Aufnahme in die Kirche.

 

Zwölfte Plenarsitzung der gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission
6.-15. Oktober 2004, Duràu, Rumänien

DAS MYSTERIUM DER KIRCHE

C. TAUFE UND MYRONSALBUNG ALS SAKRAMENTE DER AUFNAHME IN DIE KIRCHE

Die Gemeinsame Lutherisch-Orthodoxe Kommission wählte1998 auf ihrer Tagung in Sigtuna/Schweden das Thema „Das Mysterium der Kirche“ für die nächste Gesprächsrunde. Dieses Thema wurde bisher in drei Unterthemen behandelt: a) „Das Mysterium der Kirche: Wort und Sakrament“ (Damaskus, Syrien, 2000), b) „Die Sakramente (Mysteria) als Heilsmittel“ (Oslo, Norwegen, 2002) und c) „Taufe und Myronsalbung als Sakramente der Aufnahme in die Kirche“ (Durau, Rumänien, 2004). So baut die Erklärung von Oslo auf dem vorher erreichten Konsens zum Thema „Wort und Sakramente (Mysteria) im Leben der Kirche“ auf. Sie berücksichtigt jedoch auch früher erreichte Konsensus, insbesondere den in der Erklärung von 1998 erreichten: „Heil: Gnade, Rechtfertigung und Synergie“. Die frühere Arbeit der Kommission hat bekräftigt, dass „Heil reale Teilhabe durch Gnade an der Natur Gottes ist“ (Sigtuna 1998, §6) sowie dass die Sakramente/Mysteria „Heilsmittel, d.h. spezifische göttliche Heilshandlungen zum Heil der Glaubenden“ sind (Damaskus 2000, §2).

Die vorliegende Erklärung baut auf der in Oslo erreichten Übereinstimmung auf, „die Initiationssakramente der Alten Kirche, d.h. die Taufe, die Myronsalbung und die Eucharistie hervorzuheben“ (Oslo 2002, §6). In Durau haben wir Bereiche der Konvergenz und der Divergenz im Prozess der christlichen Initiation untersucht und uns dabei konzentriert auf die drei Geschehnisse: Tod mit Christus, Auferstehung mit Christus und Gabe des Heiligen Geistes.

Unsere Vorgehensweise war,  unsere jeweiligen Initiationsriten miteinander zu vergleichen, weil wir glauben, dass in ihnen die Lehre unserer Kirchen klar zum Ausdruck kommt. Die orthodoxen Initiationsriten finden sich im Euchologion und sind in verschiedene liturgische Sprachen übersetzt worden. Die hier benutzte englische Fassung stammt aus dem Gottesdienstbuch (Service Book) der Orthodoxen Kirche von Antiochien in Amerika (1987). Die lutherischen Riten der heiligen Taufe gründen sich auf das Taufbüchlein, einen Anhang zu Luthers Kleinem Katechismus im Konkordienbuch (in Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, 1986).Der Taufritus im Lutheran Book of Worship (1978), das in Nordamerika veröffentlicht wurde und von vielen anderen lutherischen Kirchen benutzt wird, enthält Elemente, die unter dem Einfluss der lutherischen liturgischen Erneuerungsbewegung aus der alten patristischen Tradition zurückgewonnen wurden.

1. Lutheraner und Orthodoxe stimmen überein, dass der Eintritt in das Leben der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche eine Gabe ist, die von Gott durch die in der Kirche gespendeten Sakramente verliehen wird. „Tut Busse, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des heiligen Geistes“ (Apg 2,38). In beiden Traditionen wird das Sakrament mit Wasser im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes vollzogen (vgl. Mt 28,19). Daher ist das Heil das Werk des dreieinigen Gottes. In beiden Traditionen wird die Taufe normalerweise von einem ordinierten Geistlichen vollzogen: in orthodoxen Kirchen geschieht dies normalerweise durch dreifaches Untertauchen (Immersion) und in lutherischen Kirchen normalerweise durch dreifaches Übergiessen des Kopfes mit Wasser. Beide Traditionen sind sich darin einig, dass Untertauchen die symbolisch angemessendste Form des Vollzugs dieses Sakraments ist. Lutheraner und Orthodoxe stimmen ebenfalls überein, dass in Notfällen die Taufe von Laien vollzogen werden kann. Unsere Kirchen sind sich darin einig, dass das Sakrament der Taufe unwiederholbar ist.

2. Die christlichen Initiation besteht aus drei Grundkomponenten: Tod mit Christus, Auferstehung mit Christus und Besiegelung mit dem Heiligen Geist. Für Orthodoxe findet die christliche Initiation ihre Erfüllung in der heiligen Eucharistie. Lutheraner sprechen gewöhnlich nicht von der Eucharistie als einem Sakrament der Initiation, doch wenn ältere Kinder oder Erwachsene getauft werden, werden sie unmittelbar zum Abendmahl zugelassen.

3. Als Vorbereitung auf die christliche Initiation benutzen orthodoxe und lutherische Kirchen je ihre eigenen Exorzismusriten. In der orthodoxen Taufordnung sagt der Priester: „O Herr, … sieh herab auf deinen Knecht/deine Magd, prüfe und erforsche ihn/sie und vertreibe aus ihm/ihr alles Tun des Teufels. Wehre den unreinen Geistern und treibe sie aus, und reinige das Werk deiner Hände …“ (Service Book, S. 147). Im lutherischen Taufbüchlein sagt der Pfarrer/die Pfarrerin: „Fahr aus, Du unreiner Geist und gib Raum dem Heiligen Geist“ (Konkordienbuch, in Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, S. 575).

4. Lutheraner wie Orthodoxe schliessen in ihren Initiationsritus die Absage an den Teufel und das Bekenntnis des Glaubens ein. Der orthodoxe Priester fragt den Täufling oder den Paten/die Patin: „Entsagst Du dem Satan und allen seinen Engeln, allen seinen Werken und allem seinen Dienst und all seinem Stolz?“ (Service Book, S. 148). In ähnlicher Weise fragt der/die lutherische Pfarrer/Pfarrerin: „Entsagst Du dem Teufel?“ (Taufbüchlein, Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, S. 577). Im orthodoxen Ritus folgt darauf unmittelbar ein Bekenntnis zu Christus und das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (325/381), während der lutherische Ritus das Apostolische Glaubensbekenntnis gebraucht. So wird in beiden Traditionen der Glaube des Täuflings oder der Paten durch das Bekennen des Glaubensbekenntnisses zum Ausdruck gebracht.

5. Wenngleich der theologische Diskurs unserer Teilhabe an Christi Tod und Auferstehung unterschiedliche Wirkungen zuschreiben kann, so bilden sie dennoch in unseren liturgischen Riten eine Einheit, und wir werden sie daher in diesem Dokument zusammen behandeln. Lutheraner und Orthodoxe stimmen überein, dass unsere Teilhabe an Christi Tod und Auferstehung uns die folgenden Gaben verleiht: Tod des alten Adams (vgl. Röm 6,6), Vereinigung mit Christus (vgl. Röm 6,5), Erlösung, Heiligung, Reinigung an Fleisch und Geist (vgl. 1Kor 6,11), Befreiung von Tod und Teufel, Vergebung der Sünden, Sieg über die Macht der Sünde (vgl. Röm 6), Erleuchtung der Seele (vgl. Hebr 6,4), Erneuerung, Wiedergeburt (vgl. Titus 3,5), neues Leben in Christus, Gotteskindschaft (vgl. Röm 8,16), Erneuerung der Gottesebenbildlichkeit (vgl. Kol 3,10; Eph 3,10), ewiges Leben und Eingliederung in den Leib Christi, die Kirche.

6. Die Verleihung dieser Gaben wird in den lutherischen wie den orthodoxen Initiationsriten klar bezeugt. In der lutherischen Taufordnung wendet sich der/die Pfarrer/Pfarrerin an die Anwesenden und erklärt die Bedeutung der Taufe: „In der heiligen Taufe befreit unser gnädiger himmlischer Vater uns von Sünde und Tod, indem er uns mit dem Tod und der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus verbindet. Wir sind geborene Kinder der gefallenen Menschheit; im Wasser der Taufe werden wir wiedergeborene Kinder Gottes und Erben des ewigen Lebens. Durch Wasser und den Heiligen Geist werden wir zu Gliedern der Kirche gemacht, die der Leib Christi ist“ (Lutheran Book of Worship, S. 121). Die Gaben werden auch in Luthers Sintflutgebet hervorgehoben, das sich in den meisten lutherischen Ordnungen widerspiegelt: „… Durch die Taufe seines eigenen Todes und seiner Auferstehung hat dein geliebter Sohn uns befreit von der Knechtschaft der Sünde und des Todes und den Weg zur Freude und Freiheit des ewigen Lebens eröffnet. Er machte das Wasser zu einem Zeichen des Gottesreichs und der Reinigung und Wiedergeburt … Giesse deinen Heiligen Geist aus, so dass den hier Getauften neues Leben geschenkt wird. Wasche ab die Sünde all derer, die durch dieses Wasser gereinigt werden, und führe sie hinaus als Erben deines herrlichen Reiches“ (Lutheran Book of Worship, S. 122).

7. Im orthodoxen Ritus betet der Priester über dem Taufwasser: „… Herr über alles, zeige dieses Wasser als Wasser der Erlösung, Wasser der Heiligung, Reinigung an Fleisch und Geist, Befreiung von Knechtschaft, Vergebung der Sünden, Erleuchtung der Seele, Bad der Läuterung, Erneuerung des Geistes, Gabe der Gotteskindschaft, Gewand der Unverderbtheit, Quelle des Lebens. … Du hast uns aus der Höhe durch Wasser und durch den Heiligen Geist eine Neugeburt geschenkt. Daher zeige dich, o Herr, in diesem Wasser und gewähre, dass er/sie, der/die darin getauft wird, verwandelt wird; dass er/sie den alten Menschen ablegt, der durch das Verlangen des Fleisches verdorben ist, und dass er/sie den neuen Menschen anzieht und nach dem Bilde dessen erneuert wird, der ihn/sie geschaffen hat, auf dass er/sie gleich deinem Tod begraben wird und danach in der Taufe in gleicher Weise an deiner Auferstehung teilhaben mag …“ (Service Book, S. 155-156).

8. Orthodoxe und Lutheraner stimmen überein, dass die dritte Komponente der christlichen Initition die Gabe und das Siegel des Heiligen Geistes ist (2Kor 1,22; Eph 4,30). In lutherischen Ordnungen wird die Gabe des Geistes mit der Handauflegung und entweder einem postbaptismalen Votum oder einem Gebet um den Heiligen Geist verbunden. Auf das dreimalige Begiessen des Kopfes des Täuflings durch den Pfarrer/die Pfarrerin im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes folgt im Taufbüchlein das Gebet: „Der allmächtige Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi, der Dich von neuem geboren hat durchs Wasser und den Heiligen Geist und Dir alle Deine Sünden vergeben hat, der stärke Dich mit seiner Gnade zum ewigen Leben.“ (Taufbüchlein, S. 578 in Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche)

9. In lutherischen Kirchen ist es auch üblich, dass der Pfarrer/die Pfarrerin beide Hände auf den Kopf des/der Neugetauften legt und um den Heiligen Geist betet: „Gott, Vater unseres Herrn Jesu Christi, wir sagen dir Dank, dass du deine Söhne und Töchter von der Macht der Sünde befreit hast und sie durch dein heiliges Sakrament zu einem neuen Leben emporgehoben hast. Giesse deinen Heiligen Geist auf (Name) aus: den Geist der Weisheit und des Verständnisses, den Geist des Rates und der Kraft, den Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht, den Geist der Freude über deine Gegenwart“ (Lutheran Book of Worship, S. 124). Das Handbook of the Lutheran Book of Worship bemerkt dazu: „Die Handauflegung mit Gebet um den Heiligen Geist bedeutet eine Rückkehr zu der liturgischen Fülle der Alten Kirche, die verlorenging, als die Konfirmation ein getrennter Ritus wurde“ (S. 31). Nach dem Lutheran Book of Worship kann der Pfarrer/die Pfarrerin die Stirn des/der Neugetauften mit dem Kreuz Christi zeichnen und dazu sagen: „(Name), Kind Gottes, Du bist für immer mit dem Heiligen Geist besiegelt und mit dem Kreuz Christi gezeichnet“ (S. 125). Lutherische Kirchen, die diesem Ritus folgen, haben die rituelle Handlung der Salbung wieder aufgenommen und sie deutlich als einen besonderen Moment im Taufritus herausgestellt, wenngleich sie diese theologisch nicht als ein eigenes Sakrament definieren.

10. Die Gabe des Heiligen Geistes kommt im orthodoxen Ritus deutlicher zum Ausdruck. Indem sie sich eng an die patristische Tradition halten, sehen Orthodoxe eine tiefgreifende Parallele zwischen der Teilhabe an den Sakramenten der  Kirche und der geschichtlichen Entfaltung der Heilsökonomie, die ausgeht vom Vater, durch den Sohn und im Heiligen Geist. Nach dem Untertauchen salbt der Priester den Täufling mit heiligem Myron und sagt dazu: „… allbarmherziger König, verleihe ihm/ihr auch das Siegel der Gabe deines heiligen, allmächtigen und anbetungswürdigen Geistes …“ (Service Book, S. 159). Wie Jesus Christus in seiner menschlichen Natur die Gabe des Heiligen Geistes empfangen hat, so müssen alle, die ihm nachfolgen, nach dem Vorbild der zu Pfingsten versammelten Kirche dieselbe Gabe empfangen. Die heilige Myronsalbung (die Salbung der Getauften mit dem heiligen Myron und das Gebet um den Empfang des Heiligen Geistes) ist das eigenständige, aber untrennbare Sakrament, das den einzelnen Gläubigen das eigene Pfingsten der Kirche verleiht. Indem ihnen die Gabe des  Heiligen Geistes verliehen wird, werden die Gläubigen vorbereitet und befähigt, an der Eucharistie, dem Sakrament, das ihre Vereinigung mit Christus bewirkt, teilzuhaben, so dass sie wahrhaft mit ihm ein Leib (syssomos) und ein Blut (homaimos) werden. Somit werden in der orthodoxen Tradition alle, die die Taufe und die Myronsalbung empfangen haben, einschliesslich der Säuglinge und Kleinkinder, unmittelbar zur Eucharistie zugelassen. Die orthodoxe Tradition verleiht dem heiligen Myron besondere Bedeutung. Es wird alle zehn Jahre während der Osterwoche aus reinem Olivenöl und über 50 weiteren aromatischen Stoffen hergestellt und symbolisiert den ekklesialen Charakter der Myronsalbung, die die Neugetauften durch den Heiligen Geist  mit der universalen Kirche vereint.

11. Orthodoxe und Lutheraner stellten auf ihrer Tagung in Durau (6.-15. Oktober 2004) fest, dass die drei Grundkomponenten der christlichen Initiation in ihren jeweiligen Riten weitgehend enthalten sind. Diese finden ihre Erfüllung in der vollen Teilhabe der Christen am Leben Christi und seiner Kirche, indem sie in der heiligen Eucharistie seinen Leib essen und sein Blut trinken. Die 13. Tagung der Lutherisch-Orthodoxen Kommission wird sich mit dem Thema befassen: Das Mysterium der Kirche – Die Heilige Eucharistie (das Abendmahl) im Leben der Kirche.

 

 

Dreizehnte Plenartagung der gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission
2. – 9. November 2006, Bratislava, Slowakische Republik

DAS MYSTERIUM DER KIRCHE

D. DIE HEILIGE EUCHARISTIE IM LEBEN DER KIRCHE

Die Gemeinsame lutherisch-orthodoxe Kommission tagte vom 2.-9. November 2006 in Bratislava in der Slowakischen Republik, um sich mit dem Thema „Die Heilige Eucharistie im Leben der Kirche“ zu befassen. Es wurden Referate zu folgenden Themen gehalten: „Die Spiritualität der Eucharistie und ihre praktischen Implikationen im Leben der evangelisch-lutherischen Kirche“ (E. Hagberg), „Das lutherische Verständnis der Eucharistie“ (K.Ch. Felmy und J. Wasmuth), „Das Heilige Sakrament (mysterion) der Eucharistie: Eine orthodoxe Perspektive“ (V. Ionita), „Bemerkungen zu den lutherischen Papieren“ (A. Laham), „Die Rolle der Eucharistie in der göttlichen Heilsökonomie“ (Ch. Voulgaris) und „Metabole oder Transsubstantiatio“ (S. Ossipov). Auf der Grundlage dieser Arbeit war die Gemeinsame Kommission in der Lage, in den jeweiligen Traditionen breite Bereiche der Übereinstimmung im Blick auf das Verständnis der Eucharistie im Leben der Kirche festzustellen.

 1. Auf der Arbeit früherer Kommissionstagungen aufbauend verstehen Orthodoxe und Lutheraner das Sakrament der Heiligen Eucharistie als „die Erfüllung in der vollen Teilhabe der Christen am Leben Christi und seiner Kirche, indem sie in der Heiligen Eucharistie seinen Leib essen und sein Blut trinken“ (Erklärung von Durau, §11). Sie bekräftigen ebenfalls gemeinsam, dass die Eucharistie und die Teilhabe der Gläubigen daran ein Geheimnis bleiben und das menschliche Verstehen übersteigen. Die Heilige Eucharistie ist das Sakrament des Neuen Bundes, das von Christus selbst eingesetzt wurde (Mt 26,27f., par.) Als solche ist sie ein unerlässlicher Teil des Lebens der Kirche, die der Leib Christi ist. Durch die Taufe wird der Glaubende wiedergeboren und mit dem Heiligen Geist versiegelt (für Orthodoxe geschieht die Versiegelung durch die Myronsalbung). In der Eucharistie empfangen die Glaubenden den Leib und das Blut des Herrn als eine heilende und geistliche Nahrung für Leib und Seele und erfahren ihre Gliedschaft am Leibe Christi. Auf diese Weise empfangen die Glaubenden Vergebung ihrer Sünden und die Gabe des ewigen Lebens. Die Eucharistie setzt das Bekenntnis des einen Glaubens der Kirche voraus und stärkt das Einssein der Gläubigen mit Christus und ihrer Einheit und Gemeinschaft untereinander auf örtlicher wie auf universaler Ebene (Mk 14,22-26; 1Kor 10, 16f.).

2. Lutheraner und Orthodoxe glauben, dass Christus sich selbst „ein für allemal“ als ein Opfer dahingab – ephapax (Hebr 7, 27; 9,12; 10,10, vgl. 10,14). Während Lutheraner weniger häufig die Opferterminologie benutzen als Orthodoxe, können beide darin übereinstimmen, dass die Eucharistie in dem Sinne ein Opfer ist, dass 1. es Christus ist und nicht der zelebrierende Priester, der opfert und als Opfer geopfert wird, 2. Christi Sühnopfer Gott ein für allemal dargebracht wird und 3. es sakramental dargestellt wird, so dass seine Wohltaten den Gläubigen jedesmal, wenn die Eucharistie gefeiert wird, geschenkt werden. Orthodoxe und Lutheraner betrachten die Eucharistie ebenfalls als ein Dank- und Lobopfer (Hebr 13,15).

a) Luthers Kritik an der Opferterminologie ist darauf ausgerichtet, ein Missverständnis der Eucharistie als „verdienstliches“ Handeln von Menschen um ihres eigenen Heils willen zu korrigieren.

b) Indem darauf bestanden wird, dass Christus und nicht der Priester das eucharistische Opfer darbringt, schliessen die Orthodoxen sich den Lutheranern in ihrer Kritik an solchem Missbrauch und Missverständnis an.

c) Orthodoxe verstehen die Eucharistie als ein unblutiges Opfer. Es ist „unblutig“, weil es eine sakramentale Darstellung des einmaligen Opfers Christi am Kreuz ist. Es ist ein „Opfer“, weil das Brot und der Wein, die von der Kirche dargebracht werden, durch das Wirken des Heiligen Geistes wahrhaft mit der Menschheit Christi vereint werden. Die Kirche bringt das Brot und den Wein dar, die mit dem Leib und Blut Christi durch die Anamnese verbunden werden und durch Vereinigung mit der erhöhten und vergöttlichten Menschheit Christi durch das Wirken des Heiligen Geistes (Epiklese) verwandelt werden.

d) Orthodoxe und Lutheraner stimmen darin überein, dass die Eucharistie auch eine uns von Christus geschenkte Gabe der Gemeinschaft ist. In dieser Gemeinschaft werden wir voll mit ihm und mit den Gliedern seines Leibes vereint. Das „Wie“ des Mysteriums bleibt unerklärbar, doch das „Was“ wird im Glauben und in der Danksagung klar bekannt. Mit den Worten von Johannes von Damaskus: „… Wenn du fragst, wie dies geschieht, dann soll es dir genügen zu erfahren, dass es durch den Heiligen Geist geschehen ist, genauso wie der Herr selbst Fleisch annahm, das in ihm blieb und von der Heiligen Mutter Gottes durch den Heiligen Geist geboren wurde“ (Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, 4.13)

3. In der lutherischen wie in der orthodoxen Tradition wird die rechte Vorbereitung auf die Teilhabe an der Eucharistie betont. Für beide gehören dazu vorbereitende Gebete, Beichte und Vergebung der Sünden, was für die Orthodoxen das Busssakrament ist. Für Orthodoxe gehört zur Vorbereitung auch das Fasten. Für Lutheraner ist das Fasten nicht erforderlich, wird aber häufig praktiziert. Beide stimmen darin überein, dass die Eucharistie rechtmässig/kanonisch und nur von ordinierten Geistlichen gespendet werden muss.

4. Lutheraner und Orthodoxe halten sich wörtlich an die Worte Jesu „Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut“. Sie glauben, dass in der Eucharistie Brot und Wein zu Christi Leib und Blut werden, um von den Kommunikanten konsumiert zu werden. Wie dies geschieht, wird von beiden als ein tiefes und wahres Geheimnis betrachtet. Um zu diesem Geheimnis einen Zugang zu finden, haben Orthodoxe und Lutheraner sich auf ihre jeweilige Tradition besonnen und sind im Blick auf das, was hier geschieht, zu unterschiedlichen Erkenntnissen gekommen.

a) Lutheraner sprechen von Christi „Realpräsenz“ in der Eucharistie und beschreiben Christi Leib und Blut als „in, mit und unter“ dem Brot und dem Wein (Konkordienformel, SD 7). Darunter verstehen sie, dass das Brot und der Wein wahrhaft zum Leib und Blut Christi werden durch die Einsetzungsworte und das Wirken des Heiligen Geistes. Auf patristische Quellen zurückgreifend verstehen Lutheraner Christi Gegenwart in den Elementen christologisch: „So wie in Christus zwei unterschiedliche, unverwandelte Naturen unzertrennlich vereinigt sein, also im heiligen Abendmahl die zwei Wesen, das natürliche Brot und der wahre natürliche Leib Christi in der geordneten Handlung des Sakraments allhier auf Erden zusammen gegenwärtig sein.” (SD 7) Lutheraner unterscheiden jedoch weiterhin zwischen einer persönlichen hypostatischen Union und einer „sakramentalen Union“, wobei sie letztere bevorzugen, um Christi Gegenwart in der Eucharistie zu beschreiben. Lutherische Theologie kann von einer Transformation (mutatio) von Brot und Wein in Leib und Blut Christi sprechen (Apol. X,2; XXIV). Dies wird nicht so verstanden, dass dadurch der physische Charakter von Brot und Wein in der Eucharistie beseitigt wird. Lutheraner betonen, dass das Wort Gottes das Sakrament bewirkt (Grosser Katechismus 5: Von dem Sakrament des Altars).

b) Orthodoxe bekennen eine wahre Verwandlung (metabole) von Brot und Wein zu Leib und Blut Christi durch die Einsetzungsworte und das Wirken des Heiligen Geistes in der eucharistischen anaphora. Dies bedeutet keine „Transsubstantiation“ der Substanz von Brot und Wein in die Substanz des vergöttlichten Menschseins Christi, sondern eine Vereinigung damit: „In der Kommunion ist das Brot kein gewöhnliches Brot, sondern mit der Gottheit vereint“ (Johannes von Damaskus). Diese Union entspricht einer Kommunikation der vergöttlichenden Eigenschaften des Menschseins Christi und der vergöttlichenden Gnade seiner Gottheit an die eucharistischen Gaben. Das Brot und der Wein werden nicht mehr im Blick auf ihre natürlichen Eigenschaften verstanden, sondern im Blick auf den vergöttlichten menschlichen Leib Christi, in den sie durch das Wirken des Heiligen Geistes aufgenommen wurden. Wie die beiden Naturen in der Christologie hypostatisch miteinander vereint werden, so werden in der Eucharistie Christi erhöhte Menschheit und die „Antitypen“ (Hl. Basilius, Anaphora) von Brot und Wein sakramental durch das Wirken des Heiligen Geistes und der Kirche vereint.

c) Unabhängig davon, ob sie die Begriffe „metabole“ oder „Realpräsenz“ verwenden, stimmen Orthodoxe und Lutheraner darin überein, dass Brot und Wein ihr Wesen (physis) nicht verlieren, wenn sie sakramental Christi Leib und Blut werden. Die mittelalterliche Lehre von der Transsubstantiation wird von Orthodoxen wie von Lutheranern verworfen.

5. Orthodoxe und Lutheraner glauben, dass die Veränderungen (engl. changes), die in der Eucharistie stattfinden, durch den Heiligen Geist bewirkt werden. Die Orthodoxen schliessen ausdrücklich in die liturgische Eucharistiefeier die gesamte Heilsökonomie ein, was seinen Höhepunkt findet in den Einsetzungsworten, der Anamnese, der Epiklese und der Heiligen Kommunion. Für Lutheraner wird das Werk Christi in seiner Gesamtheit ebenfalls vorausgesetzt und liturgisch im Abendmahlsgottesdienst als ganzem liturgisch dargestellt, wenn auch weniger ausführlich. Lutheraner wie Orthodoxe glauben, dass die Eucharistie nicht vom gesamten Mysterium des Heils getrennt werden darf.

6. Für Lutheraner wie Orthodoxe wird der rechte Gebrauch der eucharistischen Elemente von Christi eigenen Worten in der Heiligen Schrift bestimmt: „Nehmet, esset; das ist mein Leib. Trinket alle daraus; das ist mein Blut …“ (Mt 26,27f., par.) Wer Christi Worten glaubt, empfängt seinen Leib und sein Blut zum Heil. Lutheraner erkennen in den Elementen, wenn sie für nichteucharistische Zwecke benutzt werden, keine Heilsqualitäten. Dadurch wird jedoch nicht der Glaube ausgeschlossen, dass die Veränderung (engl. change) der Elemente in Leib und Blut Christi definitiv ist. Orthodoxe bestehen auf der Fortdauer und Unumkehrbarkeit dieser Verwandlung.

a) Die lutherische Position geht zurück auf eine historische Kritik am nichteucharistischen Gebrauch der eucharistischen Elemente, wie er in spätmittelalterlichen westlichen Traditionen üblich war. Lutheraner sehen bei solchen Praktiken eine Gefahr des Aberglaubens, des Fetischismus oder eines Missbrauchs bei „Winkelmessen“. Die lutherische Theologie versteht darüber hinaus die Elemente als Heilsmittel (media salutis), was bedeutet, dass ihr Hauptinteresse auf den beiden Grössen liegt – Gott und die Gläubigen – , die durch diese Mittel zusammengebracht werden und nicht in den Mitteln selbst. Daher hat die lutherische Tradition keine besonderen Überlegungen dazu angestellt, was mit den Elementen ausserhalb ihres Gebrauchs in der Eucharistie (extra usum) geschieht.

b) Orthodoxe verstehen die Verwandlung der Elemente christologisch. Da Christi Gegenwart bei den Elementen das Göttliche mit dem Irdischen in Verbindung bringt, werden die irdischen Elemente davon berührt – „vergöttlicht“ -, genauso wie Christi menschliche Natur durch die Vereinigung mit dem Göttlichen berührt wird. Folglich glauben Orthodoxe, dass die Elemente als solche verwandelt werden, wenn sie mit Christi Leib und Blut vereinigt werden, und dass diese Verwandlung genauso unumkehrbar ist wie die Inkarnation selbst. Sie bestehen jedoch darauf, dass das konsekrierte Brot und der konsekrierte Wein nur für eucharistische Zwecke verwendet werden.

c) Lutheraner können mit der orthodoxen Position übereinstimmen, ohne dass sie ihre Betonung des rechten Gebrauchs der Elemente in der Eucharistie aufgeben. Eine lutherische Wertschätzung der orthodoxen christologischen Betonung würde zusammen mit dem Nachdenken über die eigene lutherische Tradition der Ehrfurcht vor der Eucharistie einen entsprechenden sorgfältigen Umgang mit den Elementen extra usum erforderlich machen, z.B. im Blick auf das konsekrierte Brot und den konsekrierten Wein nach der Feier der Eucharistie.

7. Lutheraner und Orthodoxe bekräftigen gemeinsam die eschatologische Dimension der Eucharistie, durch die die Vergangenheit wie die Zukunft in die Gegenwart hineingebracht werden. Wenn das eschatologische Geheimnis der inkarnierte, gekreuzigte, auferstandene und erhöhte Christus ist, der in Herrlichkeit wiederkehrt, ist die Eucharistie, die uns zu ihm und ihn zu uns bringt, wahrhaft eschatologisch. Die Eucharistie bringt den Glaubenden und der Welt das Eschaton nahe. Sie bringt den Gläubigen das Heil und den Ungläubigen und den unwürdigen Teilhabenden das Gericht (1Kor 11, 27ff.).

Indem Christus uns seinen heiligen Leib und sein heiliges Blut zu essen und zu trinken gibt, ist er uns leiblich jetzt genauso nahe wie seinen ersten Jüngern und allen, die ihm im Laufe der Zeiten nachgefolgt sind. Das Sakrament ist aber auch eine Vorwegnahme der zukünftigen Erlösung und ein Vorgeschmack des himmlischen Hochzeitsmahls des Lammes (Offb 19,9). Dieses Mahl, das Mahl des Reiches Gottes, umfasst zugleich die zukünftige Eschatologie der Parusie und die bereits eröffnete Eschatologie der Eucharistie. Darin vergibt Gott der Vater nicht nur unsere Sünden, sondern er nährt uns auch mit dem Leib und Blut seines Sohnes, so dass wir durch den Heiligen Geist für unseren irdischen Pilgerweg gestärkt werden, bis wir schliesslich das Leben der zukünftigen Welt, das wir durch den Glauben bereits in verborgener Weise haben, in seiner Fülle besitzen. Mit den Worten des alten Gebets „Maranata, unser Herr komm!“ (1Kor 16,22) betet die Kirche für das zukünftige Kommen des Herrn am Ende der Zeit wie auch für sein jetziges Kommen durch den Heiligen Geist in diesem heiligen Mahl. In der Eucharistie wird das Reich Gottes zu einer gegenwärtigen Wirklichkeit, da die Gläubigen, wenn sie zur Kommunion mit dem Leib und Blut Christi kommen, die immerwährende Einheit mit dem erhöhten Herrn erfahren.

8. Weil die Eucharistie das eschatologische Reich Christi in Raum und Zeit hineinstellt, ist sie ein erlösender Segen für die ganze bewohnte Erde (oikumene, Hebr 2,5). Damit sind sowohl die natürliche Umwelt als auch die menschliche Gesellschaft gemeint. Die Eucharistie macht die Teilhabenden durch rechtes Handeln zu Trägern des mystischen Segens Gottes in Christus für die Welt. Ihr Engagement für die Bewahrung der natürlichen Umwelt (oikos) der Schöpfung ist eine Folge der eucharistischen Teilhabe. In den Elementen empfangen wir die Gaben der Schöpfung und bringen sie wiederum dem göttlichen Geber dar, empfangen sie wieder zurück und teilen sie miteinander, wodurch wir auf sakramentale Weise sowohl unsere Abhängigkeit vom Schöpfer als auch unsere Verantwortung gegenüber der Schöpfung unterstreichen. Das gleiche gilt für rechtes soziales Handeln der Christen. Weil sie die Glaubenden am Tisch des Herrn miteinander verbindet, ist die Eucharistie das Sakrament menschlicher Versöhnung par excellence. Die Glaubenden werden in die Welt entsandt, um dem Reich Gottes zu dienen. Dies kommt in der lutherischen Liturgie in der Entlassung „Gehet hin im Frieden und dient dem Herrn!“ zum Ausdruck. In der orthodoxen Liturgie wird an verschiedenen Stellen eine solche „Liturgie nach der Liturgie“ zum Ausdruck gebracht. Das letzte Dankgebet für den Empfang der Heiligen Kommunion beginnt mit den Worten: „Lenke unsere Schritte auf den rechten Weg, halte uns fest in der Gottesfurcht, beschütze unser Leben und gib uns Sicherheit in unserem Bemühen… “ In ähnlicher Weise bitten die Gläubigen im Entlassungsgebet den Herrn, uns auf dem Weg zur Heiligung zu leiten und der Welt, den Geistlichen und dem ganzen Volk Frieden zu gewähren. Diese Einsichten haben weitreichende Implikationen und sollten in einem zukünftigen Kontext gründlicher untersucht werden.

9. Lutheraner und Orthodoxe stimmen darin überein, dass die Beziehung der Eucharistie zum ordinationsgebundenen Amt/Priestertum (hierosyne) zu einem späteren Zeitpunkt einer ausführlichen Diskussion bedarf. Lutheraner und Orthodoxe hoffen und beten dafür, dass sie eines Tages die Eucharistie gemeinsam feiern und sich gemeinsam als der eine Leib Christi für das Leben und das Heil der Welt einsetzen können.

10. Für ihre nächste Tagung einigte sich die Kommission darauf, weitere Überlegungen über Die Heilige Eucharistie im Leben der Kirche anzustellen und folgende Themen zu bearbeiten: Vorbereitung und Feier der Eucharistie; Eucharistie und Ökologie (unter Einbeziehung der menschlichen Gesellschaft).

 

Vierzehnte Plenartagung der gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission
30. Mai – 7. Juni 2008, Paphos, Zypern

DAS MYSTERIUM DER KIRCHE

D/2 DIE HEILIGE EUCHARISTIE IM LEBEN DER KIRCHE. VORBEREITUNG DER EUCHARISTIEFEIER UND ÖKOLOGISCHE UND SOZIALE IMPLIKATIONEN

Auf ihrer Tagung  in Durāu/Rumänien im Oktober 2004 wählte die Gemeinsame lutherisch-orthodoxe Kommission für ihre 13. Plenartagung das Thema: Das Mysterium der Kirche –  D. Die Heilige Eucharistie im Leben der Kirche. Die 13. Kommissionstagung fand 2006 in Bratislava/Slowakische Republik statt, um dieses Thema zu erörtern und eine Gemeinsame Erklärung zu erarbeiten. In Bratislava kam die Kommission überein, sich weiterhin mit die Eucharistie betreffenden Themen zu befassen und sich besonders auf zwei Aspekte zu konzentrieren: Vorbereitung für die Eucharistiefeier und ökologische und soziale Aspekte der Eucharistie. Die 14. Gemeinsame Plenartagung, auf der diese Fragen erörtert werden sollten,  fand vom 30. Mai bis 7. Juni 2008 in Paphos auf Zypern statt. Auf der Grundlage eines vom Vorbereitungsausschuss in Joensuu/Finnland (3.-8. Oktober 2007) erarbeiteten Entwurfs und folgenden vorgetragenen und diskutierten Referaten  führte die Kommission ihre Überlegungen fort: „Vorbereitung für die Teilhabe an der Eucharistie und die kanonische Feier der Göttlichen Eucharistie“ (G.D. Dragas), „Heiliges Abendmahl: Vorbereitung und Praxis in der lutherischen Tradition“ (D. McCoid), „Die Liturgie nach der Liturgie. Die Heilige Eucharistie und die Mission der Orthodoxen Kirche heute“ (V. Ionita), „Das Deine vom Deinigen bringen wir dir dar. Eine mögliche orthodoxe eucharistisch-ökologische Theologie“ (V. Jezek) und „Die sozialen  und ethischen Aspekte der Eucharistie“ (A. Raunio). Bei der Aussprache über diese Referate zeigten sich breite Bereiche der Übereinstimmung, eine Reihe von wichtigen Differenzen und ein starkes gemeinsames Engagement im Blick auf die Implikationen der Eucharistie  für die Welt.

I.         Vorbereitung auf die Teilhabe an der Eucharistie

1.Orthodoxe und Lutheraner betrachten die Eucharistie als ein ehrfurchtgebietendes und höchst feierliches Sakrament, das für das Leben der Kirche wesentlich ist. Sie ist die Gabe des ewigen Lebens, Heilsmittel und Arznei der Unsterblichkeit. Teilhabe an der Eucharistie ist Teilhabe am auferstandenen Menschsein Christi, das gegenwärtig ist im Sakrament und das Allerheiligste im christlichen Gottesdienst darstellt. Als solches erfordert es eine angemessene Vorbereitung. „Mit Zittern betrachte das Göttliche Blut, o Sterblicher; denn es verbrennt wie eine glühende Kohle den Unwürdigen“ (Die Göttliche Liturgie des Heiligen Johannes Chrysostomos).

2. Der Heilige Paulus sagt: „Wer nun unwürdig von diesem Brot isst oder aus dem Kelch des Herrn trinkt, der wird schuldig sein am Leib und Blut des Herrn. Der Mensch prüfe aber sich selbst, und so esse er von diesem Brot und trinke aus diesem Kelch. Denn wer so isst und trinkt, dass er den Leib des Herrn nicht achtet, der isst und trinkt sich selber zum Gericht“ (1.Kor 11.27-29). Gemäss der Ermahnung des Paulus betonen Lutheraner wie Orthodoxe die Selbstprüfung bei der Vorbereitung auf die Eucharistie.

3.Die Ermahnung des Paulus an die Korinther folgt auf seine Entrüstung darüber, wie sie die Eucharistie dadurch missbraucht haben, dass sie sie gefeiert haben, während sie uneins untereinander waren und soziale Ungleichheiten in ihrer Mitte unbeachtet liessen (1.Kor 11,17-22). In ähnlichem Geist ruft Jesus Christus alle, die zum Altar treten, dazu auf, sich zuerst mit denen zu versöhnen, die etwas gegen sie haben (Mt 5,23-24). Dem entsprechend sollte Versöhnung mit Brüdern und Schwestern zu einer rechten Vorbereitung auf die Eucharistie gehören. Die lutherische und die orthodoxe Tradition erwarten, dass eine solche Versöhnung gegebenenfalls einer Selbstprüfung folgen sollte. In einigen Fällen bieten sie als Hilfestellung für diesen Prozess bestimmte Rituale an.

4. Zur Selbstprüfung gehören Beichte und Sündenvergebung. Dies geschieht sowohl im persönlichen Gebet als auch durch einen Akt der Beichte und der Absolution vor einem Priester oder Pfarrer, was für Orthodoxe das Sakrament der Beichte ist. Während Lutheraner im allgemeinen die Beichte nicht als Sakrament definieren, bieten auch sie Privatbeichte und Absolution an. Die lutherische Tradition schliesst eine allgemeine Beichte und Absolution in die Eucharistiefeier ein. Im Blick auf das Thema Beichte bleiben weiterhin Unterschiede zwischen Lutheranern und Orthodoxen bestehen. Es bedarf weiterer Diskussion, um festzustellen, ob solche Unterschiede ein Hindernis für eine gemeinsame Teilhabe an der Eucharistie darstellen.

5. Weil es ein Akt der Busse ist, betrachten Lutheraner und Orthodoxe das Fasten als einen wichtigen Teil ihrer spirituellen Vorbereitung auf die Eucharistie.

a. Die orthodoxe Tradition hält sich an das Fasten vor dem Empfang des Sakraments. Die völlige Abstinenz beginnt nicht später als zu Mitternacht des Tages vor der Eucharistiefeier. Andere Fastenzeiten werden durch den liturgischen Kalender bestimmt und werden eingehalten als Vorbereitung auf bestimmte wichtige Feste und auf die Teilhabe an der Eucharistie bei diesen Gelegenheiten: Grosse Fastenzeit, Karwoche und die besonderen Fastenzeiten vor den Apostelfesten (29.6), das Marienfasten zum Tag des Entschlafens der Gottesmutter (15. 8.), Weihnachten, Epiphanias, Enthauptung Johannes des Täufers und Kreuzeserhöhung sowie jeden  Mittwoch und Freitag ausser in der Osterwoche. Zusätzlich kann in Fällen der Busse noch zusätzliches Fasten von einem Beichtvater angeordnet werden.

b.Viele Lutheraner praktizieren regelmässiges Fasten und betrachten es als einen Bestandteil ihrer eucharistischen Frömmigkeit, wenn auch nicht als ein Erfordernis.

c. Die Unterschiede zwischen Orthodoxen und Lutheranern im Blick auf erforderliches Fasten sind teilweise auf eine unterschiedliche theologische Sicht der Rolle des Menschen im Erlösungsgeschehen zurückzuführen. Ob diese Unterschiede kirchentrennend sind oder miteinander versöhnt werden könnten, wird weiter zu untersuchen sein.

6. Orthodoxe und Lutheraner betonen, dass die Teilhabenden sich der Eucharistie mit einer rechten inneren Einstellung nähern sollten, die durch Unterweisung und Gebet gefördert wird. Dies gilt auch für den zelebrierenden Geistlichen, für den beide Traditionen besondere Gebete vorsehen.

a. In Luthers Grossem Katechismus werden die Kommunikanten aufgefordert zum Gebet und zur Besinnung auf „die Kraft und Nutz, darum eigentlich das Sakrament eingesetzt ist, welches auch das Nötigste darin ist, dass man wisse, was wir da suchen und holen sollen.“ (5,20f.) Diese Kraft und dieser Nutzen konzentrieren sich auf die Absolution. Wie Luther sagt, sollten die Kommunikanten „zum Sakrament gehen, dass wir da empfangen solchen Schatz, durch  und in dem wir Vergebung der Sünde bekommen. … Denn darum heißet er (Christus) mich essen und trinken, dass es mein sei und mir nütze als ein gewiss Pfand und Zeichen, ja  eben dasselbige Gut, so für mich gesetzt ist wider meine Sünde, Tod und alle Unglück“ (5,21f.). In lutherischen Gesangbüchern sind ähnliche Gebete und Anweisungen enthalten, deren Gebrauch Teil der üblichen Vorbereitung ist.

b.Den orthodoxen Kommunikanten wird in ihren Gebetsbüchern eine geeignete liturgische Gottesdienstordnung geboten. Diese Ordnung enthält unter anderem Gebete vom Heiligen Basilius dem Grossen, vom Heiligen Johannes Chrysostomos, vom Heiligen Johannes von Damaskus, vom Heiligen Simeon dem Neuen Theologen und vom Heiligen Simeon Metaphrastes. Der Kanon beginnt mit dem Vers: „Barmherziger Herr, lass deinen heiligen Leib für mich das Brot des ewigen Lebens und dein kostbares Blut ein Heilmittel für Krankheiten aller Art werden.“ Der letzte Vers, der kurz vor dem Empfang des Sakraments gesprochen wird, lautet: „Nimm mich heute, Sohn Gottes, als Teilnehmer Deines heiligen Abendmahls an, denn ich will Deinen Feinden das Geheimnis nicht verraten, und ich werde Dir keinen Kuss geben wie Judas, sondern wie der Schächer bekenne ich Dir: Gedenke meiner, o Herr, in deinem Reiche.“ Solche liturgischen Texte enthalten auch Gebete nach dem Empfang der Kommunion. Sie sind für Laien und für Geistliche bestimmt. Von den zelebrierenden Geistlichen wird jedoch erwartet, dass sie einen zusätzlichen liturgischen Kanon beachten, der mit dem täglichen Gottesdienst verbunden ist.

7. Lutheraner und Orthodoxe schreiben genau vor, wie die Eucharistie recht zu feiern ist. Zur Zeit haben sie keine eucharistische Gemeinschaft. Doch stimmen beide Seiten in vielen wichtigen Aspekten überein, wie beispielsweise Einhaltung der Liturgie und Sorge für die notwendigen Mittel und Gegenstände (Priestergewänder und Altarbedeckung, Gefässe, Brot und Wein als eucharistische Gaben usw.). Wegen ihrer aufwendigeren Liturgiefeier haben die Orthodoxen viele spezifische Vorschriften, z.B. Verwendung von gesäuertem Brot und Rotwein, Zeitvorschriften für die Feier, Verzehr der geheiligten Elemente am Ende der Feier, Gedenken an bischöfliche Autoritäten usw. Während die lutherische Praxis auch einige dieser Vorschriften enthält, halten die Lutheraner eine völlige Übereinstimmung in den liturgischen Riten nicht für notwendig. Dennoch würde eine engere Übereinstimmung der beiden Traditionen in der liturgischen Praxis ein besseres Verständnis zwischen Lutheranern und Orthodoxen fördern und ihnen helfen, ihrem gemeinsamen Ziel der Abendmahlsgemeinschaft näher zu kommen.

8. Die Eucharistie ist das Herzstück unseres Glaubens, und es ist daher äusserst wichtig, die Glaubenden in ihrer eigenen Vorbereitung zu unterstützen, damit sie regelmässig an der Eucharistie teilnehmen können. Beide Traditionen betonen, dass die Mittel zur Vorbereitung nicht legalistisch verstanden werden sollten, sondern die Glaubenden unterstützen sollten, damit sie die Heilige Kommunion richtig vorbereitet empfangen können und dadurch ihren Glauben und ihr Leben stärken.

II.        Ökologische und soziale Implikationen der Eucharistie

9.  Die Eucharistie endet nicht mit ihrer liturgischen Feier in der Kirche. Christi selbstaufopfernde Gegenwart leitet und heiligt die Kommunikanten weiterhin, wenn sie den Missionsauftrag der Kirche in der Welt leben. Durch ihre Geschichte hindurch haben die Lutheraner nach Wegen gesucht, dieser Mission besser zu dienen, indem sie sich in Gebet und theologischer Reflexion engagiert und konkrete Projekte und Programme durchgeführt haben. Die Orthodoxen haben ein ähnlich starkes Engagement gezeigt und sind einen inzwischen als „Liturgie nach der Liturgie“ bezeichneten Weg gegangen, um sich auf örtlicher, nationaler und internationaler Ebene Umweltfragen und sozialen Nöten zuzuwenden.

10.Orthodox und Lutheraner bekräftigen gemeinsam, dass ihre Teilhabe an der Eucharistie sie dazu herausfordert, als Haushalter der Gnade Gottes auf die Nöte der Welt zu reagieren. Die Eucharistie hat einen  wesentlich gemeinschaftlichen Charakter, der auf konkrete Weise den Leib Christi zum Ausdruck bringt als die Kirche, die ausgesandt ist, um Gottes heilbringender Umarmung des ganzen Kosmos zu dienen. Christus ist par excellence die Gabe an alle Glaubenden, die alles Bestehende verwandelt. Als Empfänger dieser allheiligen Gabe werden die Glaubenden selbst verwandelt von Empfangenden zu Gebenden, die ausgesandt werden, um die Welt gemäss dem Heilsplan Christi zu verwandeln.

11. In diesem Sinne hat die Eucharistie eine tiefgreifende Auswirkung auf das Leben der Kirche in der geschaffenen Welt. So sagt der Heilige Paulus: „Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat – doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet…“ (Röm 8,19-22). Die Kirche soll ein Zeichen für die Menschheit sein, dass sie aufhören sollte, die Schöpfung auszubeuten und diese nicht länger willkürlich und eigennützig behandeln sollte. Die Schöpfung ist in dem uns in Christus gebotenen Heil Gottes ein eng verbundener Partner der  Menschheit.

12. Sowohl lutherische als auch orthodoxe Kirchen haben ihre Verpflichtung gegenüber diesem Aufruf bewiesen, indem sie sich auf verschiedene Weisen in ökologischen Bemühungen engagiert haben. Beispiele dafür sind unter anderem Initiativen lutherischer  Ortsgemeinden, die darauf ausgerichtet sind, den Energieverbrauch einzuschränken, „autofreie Sonntage“ auszurufen, alternative Energiequellen zu unterstützen und Gemeindegliedern zu helfen, ein stärker energieeffizientes Leben zu führen. Auf weltweiter Ebene hat der Lutherische Weltbund sein Engagement für Umweltanliegen unterstrichen, indem Ratstagungen und Vollversammlungen sich mit ökologischen Themen befassten. Bewahrung der Umwelt ist ein besonderes Merkmal der orthodoxen Askese und liturgischen Praxis gewesen. So weihen  Orthodoxe zum Beispiel alle Gewässer (Flüsse, Seen, Meere usw.), Wohnungen, Schulen, Gebäude usw. jedes Jahr zum Epiphaniasfest. Weihe/Segnung  [Hagiasmos] ist ein Dienst an jedem Aspekt der Umwelt. Auf internationaler Ebene sind neue Initiativen vom Ökumenischen Patriarchat ausgegangen. Dazu gehören die Einführung eines neuen religiösen Festes am 1. September als „Tag der Schöpfung“, jährliche Konferenzen, die sich mit Umweltfragen befassen und an Orten durchgeführt werden, die stark von Umweltschädigung betroffen sind (z.B. Schwarzes Meer, Adria, Donau, Amazonas usw.), sowie entsprechende Publikationen.

13.Orthodoxe wie Lutheraner stellen fest und bedauern, dass sie trotz all ihrer bisherigen Bemühungen um die Umwelt noch Wege finden müssen, sehr viel mehr zu tun. Diese Notwendigkeit könnte gar nicht dringlicher sein. Die Welt steht heute vor einer Situation, die nach den Worten des Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus von Konstantinopel verwüstet wird durch „unbegreifliche Ausmasse der Umweltkrise“. Die Christen sind in diese Krise sowohl direkt als auch indirekt verwickelt. Wie der Patriarch sagt, „ist der Augenblick gekommen, unsere jetzige Denkweise vom Podest herunterzuholen und neu zu bedenken, auf welche Weise wir mit dieser einzigartigen Welt umgehen, die der allmächtige Gott uns anvertraut hat mit dem Gebot, sie „zu bearbeiten und zu schützen“. (Botschaft Seiner Allheiligkeit, des Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus, zum Welt-Umwelttag [5. Juni 2008]). Als an der Eucharistie Teilhabende sind wir dazu aufgerufen, unsere Anschauungen und Praktiken in grundlegenden Weisen zu überdenken, die im Blick auf die Umwelt mehr als je zuvor über das Bisherige hinausgehen und sich über die traditionellen Formen des eucharistischen Denkens und Handelns hinaus erstrecken können.

14.  Der Gemeinschaftscharakter der Eucharistie hat weitreichende Auswirkungen auf das christliche Verhalten in der menschlichen Gesellschaft. Die lutherische wie die orthodoxe Tradition enthalten zu diesem Thema ein starkes Zeugnis. Dafür gibt es in den beiden Traditionen unter anderem folgende Beispiele:

a.  Luther beschreibt die eucharistische Einheit des Glaubenden mit Christus mit folgenden Worten, wobei er besonders die Auswirkungen des Abendmahls auf das soziale Leben hervorhebt: „Christus mit allen, die durch seine Liebe heilig sind, nimmt unsere Gestalt an, streitet mit uns gegen die Sünde, den Tod und alles Übel. Dadurch zur Liebe entzündet, empfangen wir seine Gestalt, verlassen uns auf seine Gerechtigkeit, sein Leben und seine Seligkeit und sind so durch die Gemeinschaft seiner Güter und unsres Unglücks ein Kuchen, ein Brot, ein Leib, ein Trank, und alles ist gemeinsam. O das ist ein grosses Sakrament, sagt St. Paulus, dass Christus und die Kirche ein Fleisch und Gebein sind (Eph. 5,32). Wiederum sollen wir durch diese Liebe uns auch wandeln und aller andern Christen Gebrechen unser sein lassen und ihre Gestalt und Bedürfnisse annehmen. Wir sollen ihrer sein lassen alles, was wir Gutes vermögen, damit sie es geniessen können. Das ist die rechte Gemeinschaft und die wahre Bedeutung dieses Sakraments. So werden wir ineinander verwandelt und zur Gemeinschaft gebracht durch die Liebe.“ (Martin Luther, Ein Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heiligen wahren Leichnams Christi und von den Bruderschaften, vgl. WA 2, 748, zitiert nach Martin Luther, Ausgewählte Schriften, hg. von Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Band 2, [Erneuerung von Frömmigkeit und Theologie], Frankfurt 1995, 62.).

b. Folgender Text vom Heiligen Johannes Chrysostomos bringt in beredter Weise die orthodoxe Sichtweise zum Ausdruck. Indem er auf die Ermahnungen des Apostels Paulus an die Korinther eingeht, spricht Chrystostomos von der Verantwortung der Christen, Priester für Christus zu sein und der menschlichen Gesellschaft so zu dienen, als wäre sie ein Altar für Christus: „Dieser Altar ist aus den Gliedern Christi zusammengesetzt, und der Leib des Herrn wird zu eurem Altar gemacht … Dieser Altar ist ehrfurchtgebietender als derjenige, den ihr jetzt [in der Kirche] benutzt, oder als derjenige, der in alten Zeiten [in Israel] benutzt wurde… Diesem Altar könnt ihr überall begegnen, auf den Strassen und auf den Marktplätzen, und zu jeder Stunde könnt ihr auf ihm opfern, denn auch auf diesem Altar werden Opfer dargebracht. Und so wie der Priester dasteht und den Heiligen Geist anruft, so ruft auch ihr den Geist an, nicht durch Worte, sondern durch Taten … Wenn ihr dann einen armen Gläubigen seht, dann denkt, dass ihr einen Altar anseht; wenn ihr einen Bettler seht, dann solltet ihr ihn nicht nur nicht beleidigen, sondern ihr solltet ihn vielmehr hochachten. Und wenn ihr einen anderen seht, der ihn beleidigt, dann solltet ihr dies verhüten.“ (Hl. Johannes Chrysostomos, Kommentar zum 2. Korintherbrief  9,10, Homilie XX).

15. Aussagen wie diese bezeugen die tiefe Versöhnungskraft der Eucharistie. Das Bekennen dieser Kraft eint Orthodoxe und Lutheraner. Beide Traditionen zeigen ein seit langem bestehendes Engagement im sozialen Bereich und in der Nächstenliebe. Als Beispiele dienen Gründungen von Krankenhäusern; Altersheime; Hilfe für Hungrige, Arme und Notleidende; Missionen; Schulen und andere Bildungseinrichtungen. Auf  Gemeindeebene üben Lutheraner und Orthodoxe eine breite Vielfalt von karitativen Diensten aus. Zu diesen von Geistlichen und Laien ausgeübten Diensten gehören Hilfe für Arme; Seelsorge in Gefängnissen, Krankenhäusern und Militär usw. Orthodoxe Frauen sind in einem besonderen Dienst der Nächstenliebe unter dem Namen „Philoptochos“ in Gemeinden und auf Diözesan- und Landesebene tätig. Auf internationaler Ebene haben beide Kirchen im sozialen Bereich erhebliche Beiträge geleistet. Die Orthodoxen verwalten die „International Orthodox Christian Charities“ (IOCC), die Mittel für Katastrophenhilfe zur Verfügung stellen. Der  Lutherische Weltbund wurde in Verbindung mit Hilfsprogrammen nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet und unterhält weiterhin ein umfangreiches internationales Programm für diakonische Dienste, Flüchtlingsdienst und Hilfsprogramme.

16. Weil die Eucharistie in Christus die Glaubenden untereinander und mit allen, zu deren Erlösung er gekommen ist, vereint, richtet die eucharistische Mission der Kirche ihr Augenmerk insbesondere auf politische und soziale Spaltungen, wo immer sie in der Welt auftreten. Unterschiede auf Grund von ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, sozialer und wirtschaftlicher Klasse, Sprache, politischer Partei und anderer Faktoren werden in der Eucharistie überschritten und dürfen die eucharistische Gemeinschaft niemals spalten. Die Eucharistie macht die Kirche auf Ungerechtigkeit und Konflikt aufmerksam und ruft sie dazu auf, mit zu helfen, Gerechtigkeit zu schaffen und Frieden wieder herzustellen. Lutheraner und Orthodoxe bekräftigen ihre Verpflichtung gegenüber der Sache des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit, indem sie innigst für deren Verwirklichung beten und sich in entsprechendem  Handeln einsetzen. Wie bei der Frage der Umwelt, so sind Orthodoxe und Lutheraner auch im Bereich des sozialen Handelns direkt und indirekt beteiligt an der Fortdauer von Ungerechtigkeit und Konflikt auf nationaler und internationaler Ebene. Wir rufen die Mitglieder beider Traditionen dazu auf, Busse zu tun und im Gebet nach Antworten in Übereinstimmung mit dem eucharistischen Glauben zu suchen.

17. Abschliessend möchten unsere Mitglieder darauf hinweisen, dass soziale und umweltbezogene Implikationen der Eucharistie Lutheraner und Orthodoxe nie voneinander getrennt haben. Unsere gemeinsame Verpflichtung, unsere eucharistische Erfahrung zu leben, ist ein sehr hoffnungsvoller Weg, als Kirchen stärker zusammenzuwachsen.

18.Die Kommission hat für ihre nächsten Vorbereitungstagungen folgende Themen ausgewählt: „E: Das Mysterium der  Kirche: Wesen und Merkmale/Eigenschaften der Kirche“ (2009) und „E: Das Mysterium der Kirche: Die Mission der Kirche“ (2010). Zu diesen beiden Themen ist eine Plenartagung im Jahr 2011 geplant.

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