Schalkowski

Edmund Schalkowski

Berlin

Auf welcher normativen Basis arbeiten die deutschen Zeitungen?

Bei der Bewertung eines neuen Ereignisses legt der Kommentator, implizit oder explizit, eine normative Basis als Maßstab zugrunde. Solche kollektiv geltenden Präferenzen besaßen gesellschaftliche Realität in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als der Kommentar sich als Kampfinstrument in den bürgerlichen Revolutionen etablierte. Sie bestanden in der geistigen Substanz der politischen Parolen Freiheit, Gleichheit, Solidarität, die sich speisten aus der Negation der absolutistischen Welt der Herrenmoral und Herrenignoranz.

Die bürgerlichen Werte sind weitgehend durchgesetzt, die Parolen aber geblieben, nun aber ihrer inhaltlichen Substanz durchweg entleert: Aus einer „dichten“ Moral ist eine universalisierte „dünne“ Moral (Konzept von Michael Walzer) geworden. Wie handhaben nun Journalisten bei der Verfertigung eines Kommentars den Prozess, aus dünnen Wertvorstellungen wieder dichte – und damit wieder für Argumentationen praktikable – zu machen? Und lässt sich eventuell die deutsche Zeitungslandschaft sinnvoll mit einem solchen Kriterium kontrastiv erfassen?