Auf der Suche nach einem Retter und die Entdeckung einer inneren Heldin: Vergleich zwischen Hauptfiguren Helene und Lizzy

Der Film Prozac Nation aus dem Jahr 2001, der auf die Autobiografie (1994) von Musikjournalistin Elizabeth Wurtzel basiert, behandelt die psychische Probleme einer jungen Frau, sowie auch die schwierige Beziehung zu ihren Eltern. Der Name des Films bezieht sich auf das Antidepressivum Prozac, das der Hauptfigur Elizabeth „Lizzy“ Wurtzel verschrieben wird. Im sozialen Drama Vor Sonnenaufgang von Gerhart Hauptmann aus dem Jahr 1889 ist eine Frau namens Helene Krause die weibliche Hauptfigur. Sie wurde nach dem Tod ihrer Mutter auf ein Herrnhutisches Pensionat geschickt, ist aber später ins Bauernhaus ihres Vaters eingezogen, wo auch ihre ältere Schwester wohnt. Fast alle in der Familie Krause trinken zu viel, außerhalb von Helene. Lizzy und Helene sind beide auf der Suche nach einem Retter.

Die Charaktere von Helene und Lizzy sind meiner Meinung nach in vielen verschiedenen Weisen sehr ähnlich. Sie sind beide in gewissem Maße Opfer ihrer Umgebung, und versuchen trotzdem irgendwie gegen ihre Schwierigkeiten zu kämpfen und den Alltag durchstehen. Sowohl Helene als auch Lizzy haben eine problematische Beziehung vor allem zu ihren Vätern – Helene wird von ihrem Vater belästigt und Lizzy hört von ihrem Vater fast nie was. Er ist einfach verschwunden als Lizzy zwei Jahre alt war. Helenes Vater ist auch fast nie zu Hause, und wenn er mal da ist, ist er betrunken und entgleist. Die beiden jungen Frauen sind zwar intellektuell, aber auch – oder vielleicht genau deswegen – psychisch gestört. Die Frage ist eben, wie viel man das Leben selbst beeinflussen kann.

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Helene verbrachte ihre Kindheit und Jugend in einem Pensionat, und Lizzys Mutter will, dass ihre Tochter in Harvard studiert, und da in einem Wohnheim mit Studierenden von gleichem Wesen lebt und sich befreundet. Dies wird aber nicht so leicht wie die Mutter sich gedacht hat. Ähnlich ist die Situation Helenes, die anscheinend unter der Umgebung der Jugend gelitten hat. In pietistischen Schulen wurde zum Beispiel das Tanzen und Theater gemieden. Höchstwahrscheinlich wurden die Schüler durch strenge Disziplin erzogen, und es wurde auf das Geistige viel Wert gelegt, nicht aber auf das Soziale in dem Sinne, wie wir es heute verstehen. Damit meine ich die geschlossene Gemeinschaft, das Verzichten auf Spaß, die unbedingt einen Einfluss auf die Schüler hat. Ich könnte mir vorstellen, dass so ein Umfeld für die Entwicklung eines jungen Menschen nicht unbedingt gut tut, sondern Probleme verursacht. Das Leben auf dem Bauernhof, von Alkoholikern umgeben, muss auch ein Albtraum sein.

Lizzy und Helene versuchen eine Vaterfigur zu finden, die sie eigentlich nie hatten. Wie sie mit Männern umgehen, ist einigermaßen traurig: Sie versuchen Männern zu gefallen, als ob ein Mann die Lösung aller Probleme wäre. Die Werke sind in völlig verschiedenen Epochen geschrieben und veröffentlicht worden, handeln sich aber beide auch um Gleichberechtigung der Geschlechter. In beiden Geschichten hat man die Idee von Frauen als etwas Minderwertiges als Männer. Männer sind dominierend nicht nur in der derzeitigen Gesellschaft, sondern auch im Leben Helenes und Lizzys.

Sie sind als die Hoffnung ihrer Familien unter Druck gesetzt, weil sie die besten sind, und sie sollen die ganze Familie stolz machen. Es ist aber nicht so einfach. Je mehr sie das Gefühl haben, sie sollen ihre Familie „repräsentieren“, desto gespannter werden sie. Eltern können nicht alle ihre Träume durch ihre Kinder verwirklichen, und Kinder können nicht alle Erwartungen erfüllen. Kinder sollten nicht die Schuld auf sich nehmen müssen, es ist aber oft so, wenn man eine schwere Kindheit gehabt hat. Ich denke sowohl Hauptmann als auch Wurtzel wollten dies durch ihre Werke andeuten.

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Außer den vorher erwähnten Ähnlichkeiten zwischen den Hauptfiguren gibt es noch einen Vergleichspunkt. In beiden Geschichten wird nämlich der Pharmaindustrie und den Ärzten blind vertraut. Die Werke kann man auch als Kritik gegenüber „die absolute Wahrheit“, die Ärzte sagen, sehen. Sind Medikamente das beste Heilmittel? Kann man sich auf die Ehrlichkeit oder Unschuld eines hochgebildeten Arztes verlassen? Wer weiß am besten, was einem gut tut? Die beiden Frauen versuchen sich ihrem Leben nehmen, die andere mit Erfolg. Wie weit ist denn die heutige Gesellschaft gekommen – denn wir reden jetzt über Werke aus dem 19. und 21. Jahrhunderten – wenn Menschen mit psychischen Störungen nicht ordentlich geholfen werden können? Und sogar wichtiger: Wie sollten wir mit den Ursachen umgehen?

Am Ende finden sie heraus, dass sie sich nur selbst retten können. Sie sind vielleicht zur falschen Zeit in eine falsche Familien hineingeboren, ja, aber schließlich finden sie eine Lösung, egal ob tragisch oder nicht, die das Leben sinnvoller macht – sei es denn im Jenseits oder Diesseits. Es zeigt auch die Kraft einer jungen Frau: Sie können auch sich selbst entscheiden, was sie machen wollen. Sie brauchen keine Helden – sie sind die Heldinnen ihrer eigenen Lebens.

https://www.youtube.com/watch?v=anCfZd862Iw

Die Bilder: Kaisa Matveinen

 

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