“Effi Briest” und “Anna Karenina”: Zwei Frauen unter dem Druck der Gesellschaft

Der Roman Anna Karenina von Lew Tolstoi wurde im Jahre 2012 vom Regisseur Joe Wright verfilmt. Das Thema des Ehebruches ist beherrschend, aber im Film wird Ehe in zwei verschiedenen gesellschaftlichen Milieus geschildert. Genau wie Effi, hat Anna einen Adeligen geheiratet, den sie nicht besonders liebt. In Anna Karenina wird dagegen auch eine glückliche, gelungene Ehe geschildert, die zwischen Kitty und Lewin.

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Schon zwischen Effi und Anna gibt es aber einige Unterschiede: Erstens ist Anna schon seit Jahren verheiratet, als sie seinem Liebhaber Wronski begegnet. Zweitens verlässt Anna seinen Mann Karenin, und beginnt ein neues Leben mit Wronski. Das gemeinsame Element ist zwar immer dabei: das Verachten der umgebenden Gesellschaft. Anna und Wronski können nicht mehr in Peterburg wohnen, weil keine ihrer alten Freundinnen mit Anna gesehen werden will. Sie wohnen eine Weile in Italien, und dann ziehen sie auf das Land. Doch gelingt alles dem neuen Paar nicht: Anna gewöhnt sich nicht ans Leben auf dem Lande, weil Wronski immer noch Zeit in Moskau verbringt, wo Anna sich nicht mehr aufhalten kann.

Im Unterschied zu Effi, bringt dies alles Anna zu einer radikalen Lösung: Sie begeht Selbstmord, weil sie ihre Verdächte über Wronskis Treue nicht mehr ertragen kann. Auch Emma in Madame Bovary kommt zur selben Lösung. Auf diese Weise ist Effi Briest optimistischer: Effi stirbt jung, aber nicht durch die eigene Hand, sondern an einer Krankheit. Man kann aber entnehmen, dass die Ursache ihres Todes ihr Unglück über ihr verlorenes Leben ist.

In Anna Karenina werden zwar zwei Seiten der Gesellschaft berücksichtigt: nicht nur das Stadtleben, sondern auch das Leben auf dem Lande. Dies wird durch eine spezielle Erzähltechnik gezeigt: In den Schilderungen des städtischen Lebens werden die Geschehnisse immer innerhalb von Kulissen gezeigt. Nur auf dem Lande gibt es keine Kulissen, sondern die Menschen leben in der realen Welt. Es ist also nur die Gesellschaft in den Städten, weit von der Natur entfernt, die unmöglichen Druck auf die Individuen ausübt. Auch die Ehe von Kitty und Lewin wird glücklich; sie wohnen auf dem Lande, weit von den übermäßigen Erwartungen der dortigen Gesellschaft.

In Effi Briest ist das Schicksal der untreuen Frau nicht so schlimm wie in Anna Karenina, aber es wird keine Alternative gegeben: Wenn man den Regeln nicht folgt, wird man unglücklich. In Anna Karenina kann ein breiteres Auswahl von Alternativen ausgemacht werden: Anna lebt jahrelang ein ziemlich glückliches Leben mit Wronski, ehe die Unmöglichkeit ihrer Situation sie zum Selbstmord bringt. Ihr Ende kommt also nicht so schnell, aber ist schlimmer als das von Effi. Außerdem wird eine gelungene Ehe gezeigt, als ein Zeichen dafür, dass in einer Lage näher an der Natur ist der zerreißende Effekt des gesellschaftlichen Drucks nicht so groß.

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